Gastbeitrag von Daniel Ristau
Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.
Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte
Zur Person:
Sabine Wolfram ist promovierte Archäologin (Prähistorikerin) und hat von 1986 bis 2001 für die Museen der Stadt Hanau gearbeitet. Unter dem Titel „Müll – Facetten“ organisierte sie als freie Kuratorin für das Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg eine viel beachtete Sonderausstellung (2001–2006). Von April 2006 bis 2012 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Leipzig tätig. Seit 2012 ist Frau Wolfram Direktorin des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz im ehemaligen Schocken Kaufhaus. Sie ist Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts und Vorsitzende des Sächsischen Museumsbundes e.V.
(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?
Jüdische Geschichte in Sachsen museal präsenter zu machen, halte ich prinzipiell für einen guten und wichtigen Ansatz. Ich kann zwar nur für Chemnitz sprechen, aber insgesamt ist hier die Geschichte des Chemnitzer Judentums museal unterrepräsentiert. Und auch im smac werfen wir „nur“ ein Schlaglicht auf einen Aspekt deutsch-jüdischer Wirtschafts- und Architekturgeschichte, indem wir die Geschichte unseres „Ortes“ vorstellen: das ehemalige Kaufhaus Schocken.
(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?
Ob ein neues, eigenes Jüdisches Museum in Sachsen die richtige Antwort auf die Frage ist, das müssen andere entscheiden.
Ich persönlich fände es spannender, eher dezentral und beiläufig zu zeigen, dass das Judentum zur Geschichte und Gegenwart Deutschlands gehört. Das kann man meiner Meinung nach tun, indem man wie im Fall des smac bzw. des Kaufhaus Schocken sich im Storytelling an einen historischen Ort anknüpft bzw. den Ort für sich sprechen lässt. Diese Option hat Frau Wenzel in ihrem Bloginterview bereits angesprochen. Wir im smac haben damit auf jeden Fall sehr positive Erfahrungen damit gemacht. Normalität zu zeigen, kann ein Mittel gegen den wachsenden Antisemitismus sein.
Eine zweite Möglichkeit des eher mitlaufenden Erzählens sehe ich in der Integration jüdischer Geschichte in bestehende stadtgeschichtliche Museen. Es ist sicher nicht einfach, bestehende Ausstellungen umzugestalten, aber man kann auf diesem Weg viel stärker das Miteinander von Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen sowie mit Blick auf die jüngste Zeit von Muslimas und Muslimen in der Gesellschaft herausarbeiten.
Außerdem erscheint mir wichtig, weiterhin mit Wanderausstellungen auf die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Sachsen aufmerksam zu machen. Damit ist es nämlich auch möglich, das Thema im ländlichen Raum zu platzieren oder an Orten, die stark frequentiert werden. Die Jüdische Gemeinde Chemnitz beispielsweise zeigt ihre Ausstellung „Wir bleiben da. 135 Jahre jüdische Gemeinde“, die zuerst im Herbst 2020 im smac eröffnet wurde, derzeit im Chemnitzer Rathaus. Weitere Ausstellungsorte sollen folgen.
Schließlich sollte man bei der Diskussion über ein neues Museum auch an die finanzielle Seite denken, da eine dezentrale Darstellung jüdischer Geschichte sicher kostengünstiger gestaltet werden könnte, besonders wenn man an die Betriebskosten eines laufenden Museumsbetriebs denkt. Und in der Fläche, also einschließlich des ländlichen Raums, werden mehr Menschen erreicht und für jüdische Geschichte sowie Probleme des Antisemitismus sensibilisiert.
(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?
Ungeachtet dessen, ob es ein zentrales Museum oder dezentrale Ausstellungen geben soll, bedarf es hier gründlicher Recherchen durch ein Kurator*innen-Team. Dabei wird sich zeigen, was sich in den Beständen einzelner Museen in Sachsen, in den Synagogen bzw. jüdischen Gemeinden, in Archiven etc. befindet. Dass es einiges zu entdecken gibt, haben unsere Recherchen zu den Schocken Kaufhäusern gezeigt.
(4) Wer soll erreicht werden?
Jeder und jede, aber vor allem natürlich die jüngere Generation, da die Zeit des Nationalsozialismus und der Holocaust zeitlich in die Ferne rücken und ihr Schrecken an Wirkung verliert. Das liegt auch daran, weil der direkte persönliche Bezug verloren geht, weil etwa die Zahl der Überlebenden des Holocaust, die noch in Schulen über ihre persönlichen Erlebnisse sprechen können, immer kleiner wird. Eine museale Präsentation jüdischen Lebens und Glaubens bietet über die Vermittlung der Shoah hinaus vor allem die Chance, Einblicke in die gelebte religiöse Praxis jüdischer Gemeinden zu geben und so für religiöse Toleranz zu werben, Vorurteile abzubauen und damit den leider erstarkenden Antisemitismus zu bekämpfen.
(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?
Da fällt mir die Thorarolle der Jüdischen Gemeinde Zwickau ein, die mit ihren Brandspuren sicher ein starkes Signal mit Bezug auf die Schrecken des NS-Regimes setzt. Und natürlich die Schocken Bücherei, die jüdischen Mitbürger*innen in den 1930er-Jahren und in der Emigration intellektuellen und spirituellen Halt gab. Aber manchmal sind es die ganz alltäglichen Dinge, die berühren und damit etwas bewirken. Ich möchte da aber keinem Kurator*innen-Team vorgreifen.
(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?
Möchte man diese Idee weiterverfolgen, dann bedarf es natürlich eines politischen Willens und einer Arbeitsgruppe, die Orte und Inhalte sichtet. Aber wie gesagt, ich kann mir gut einen anderen Weg vorstellen. Wie auch immer die Entscheidung fällt, eine stärkere museale Darstellung jüdischen Lebens ins Sachsen sollte auf die Tagesordnung.