1945 wurde in Dresden erstmals von Bert Linke-Wachwitz eine Bauidee formuliert, die tatsächlich eine späte, wenn auch gestalterisch völlig andere Realisierung erhalten sollte: ein großes Kulturhaus mitten in der Stadt. 1954 griff der Gestalter Oswald Enterlein die inzwischen breiter kursierende Idee auf und stellte seine eigene, farbintensiv illustrierte Interpretation vor. Zu beiden Entwürfen befindet sich das Originalmaterial im Bestand des Stadtmuseums Dresden.
Bert Linke-Wachwitz´ Entwurf für ein „Haus der Kulturschaffenden“
1946 veröffentlichte der damals in Dresden ansässige Architekt Herbert Linke (1908–1985), später als Bert Linke-Wachwitz firmierend, im Rahmen der Ausstellung „Das neue Dresden“1 zum ersten Mal die Idee eines Kulturhauses. Es sollte als Hauptbaukörper aus einem 15stöckigen Hochhaus im Großen Garten bestehen, dem u.a. ein kuppelbekröntes Theater als Nebengebäude zugeordnet war.2 In einer umfangreichen Denkschrift fasste der Kunsthistoriker Hans Krey, ein enger Mitarbeiter Linke-Wachwitz´, die architektonische Idee zudem in pathetische Worte.3 Er sprach von einem „Wurf genialer Größe“4, der dazu diene, Dresden eine neue „Weihestätte der musischen Künste“5 zu schenken.
Bisher unbekannt war, dass Linke-Wachwitz´ Entwurf auch auf einem der insgesamt drei damals verwendeten Ausstellungsplakate zu sehen ist: Der Gestalter Horst Naumann hatte das Kulturhaus links auf Höhe der Wade des Puttos als eine Art Zukunftsvision dargestellt. Dies lässt die guten Beziehungen des Architekten zu den Ausstellungsmachern und dem Plakatentwerfer bereits erahnen. Tatsächlich konnte Linke-Wachwitz dem damaligen 1. Bürgermeister Dresdens und Entscheidungsträger für die Ausstellung, Walter Weidauer, seine Ideen bereits vor Ausstellungseröffnung ausführlich persönlich erläutern. 6
Der aus Reichenau bei Zittau stammende Linke war damals bereits seit vielen Jahren in Dresden ansässig. Nach einer ersten Ausbildung an der Handwerker-Gewerbeschule in Zittau und der dortigen Staatsbauschule hatte er seine Ausbildung mit einem Studium der Baukunst 1929 unter Wilhelm Kreis in Dresden abgeschlossen. Seitdem war er, soweit dies bisher bekannt ist, vor allem in Dresden und der weiteren Region bis Bayern tätig, 1935 als Oberbauleiter der Jahresschauen „Der Rote Hahn“ (zum Feuerwehrwesen) und 1936 auch der „Jubiläums-Gartenbauausstellung“. Dort machte er sich jedoch der Bestechung schuldig und saß daher bis 1938 in Bautzen eine Gefängnisstrafe ab. Danach verliert sich seine Spur bisher fast gänzlich, bis er zur Ausstellung 1946 wieder aktiv hervortritt.
Das „Haus der Kulturschaffenden“ sollte nach Linke-Wachwitz´ Ideen der imposante „Sitz der Parteien, Gewerkschaften“ sowie als Klub- und Tagungshaus dienen – und damit in der Mittelachse des Großen Gartens das zu diesem Zeitpunkt ruinöse Sommerpalais ersetzen. In seinen Plänen war er nicht kleinlich: Räumlichkeiten für Oper, Schauspiel, Operette, Tanz und Artistik sowie ein Rundfunk-Sendehaus, große „Wohnhallen mit Klubsesseln“, eine Festhalle für 3.000 Personen auf 60 Metern Höhe, ein Freilichttheater mit 4.500 Plätzen und vieles mehr sollten geboten werden. Durch die neue U-Bahn sollte alles gut erreichbar sein.
Seine Berufskollegen vor Ort und in München, wohin Linke-Wachwitz seine Ideen an den Redakteur der Zeitschrift Baumeister, Rudolf Pfister, gesandt hatte, kritisierten jedoch sowohl die Dimensionen als auch die Gestaltung und sprachen von einem „pathetischen Kulturbau früheren Gepräges“7, der vermutlich eher ein Irrtum sei und Größenwahn zeige8. Gestalterisch erinnert er tatsächlich sehr an die Großbauten der Diktaturen in den 1930er Jahren, sowohl in Deutschland (z.B. der Gauhausentwurf von Wilhelm Kreis, seinem Lehrer, für Dresden) als auch der Sowjetunion. Aber auch bewusste regionale Anleihen finden sich in der Formensprache, z. B. im Dachbereich zum Japanischen Palais und im vorgeschlagenen sächsischen Baumaterial.
Linkes Vorstoß für ein Dresdner Kulturhaus verpuffte jedoch 1946 und er selbst verließ nach weiteren erfolglosen Einreichungen zum Dresdner Wiederaufbau 1948 Sachsen in Richtung Bayern. Und in Dresden wurde es erstmal ruhig um den Wieder- oder auch Neuaufbau Dresdens.
Die Turmhausidee
Erst 1949 ging es wieder voran, denn damals klärte sich die architektonische Linie der neu gegründeten DDR: Man übernahm von der UdSSR die „16 Grundsätze des Städtebaus“, die u.a. eine zentrale Stadtdominante erforderten. Teils sehr kurzfristig ausgerufene Wettbewerbe 1950 und 1951 blieben jedoch ohne Ergebnis. Erst 1952 konkretisierten sich die Vorstellungen scheinbar, als der Dresdner Chefarchitekt Herbert Schneider ein im Stil des sozialistischen Klassizismus gestaltetes Turmhaus für den Altmarkt vorschlug und sich Walter Ulbricht, als Generalsekretär des Zentralkomitees politischer Entscheidungsträger, dafür aussprach. Inhaltlich war zunächst die Rede von einem Haus für die Parteien, dann schwenkte man auf eine Kulturnutzung um. Da war sie wieder (oder immer noch?), die Idee von Linke – ohne, dass man sich darauf berufen hätte.
Die Hochhausidee dominierte – gegen alle Proteste von Architekten und Denkmalpflegern – die Diskussionen der folgenden Jahre. Schneider plante weiter – schließlich sogar ein Hochhaus von bis zu 124 Metern Höhe. Die Sächsische Zeitung, das offizielle Sprachrohr der SED, berichtete wort- und bildreich von den Planungen. Es wurde zu einer „breiten“ öffentlichen Debatte über die Planungen aufgerufen.
Oswald Enterleins fantastische Pläne für die Innenstadt
Der Maler und Grafiker Oswald Enterlein (1884 – 1963) verfolgte die Debatten intensiv und erarbeitete als architektonischer Laie schließlich ab 1952 selbst ein repräsentatives Hochhaus für den Altmarkt, das ohne Kenntnisse der aktuellen Debatten nicht zu erklären wäre.
Sein reich verziertes, fünfstufiges Turmhaus mit einer stattlichen Höhe von 135 Metern sollte über eine breit ausladende Treppenanlage betreten werden. Den Sockel für den Hauptbaukörper bildete eine Art vergrößerter Nachbau des Dresdner Zwingers. Nach mehreren Baurücksprüngen mit skulpturengeschmückten Dachterrassen erhielt das Hochhaus seinen krönenden Abschluss spektakulär in Form einer Wendeltreppe mit mächtigem Globus aus Opalglas und Laterne.
Inhaltlich sah Enterlein eine Mischnutzung vor und erläuterte: „Dieser erste Hauptabsatz ist gedacht, das [sic] viele Diensthabende mit ihren Familien untergebracht werden, denn es ist anzunehmen, das [sic] vorerst im langgestreckten Quergebäude, welches höhere Räume aufweist, als Amtsräume zulangen.“9 Für den zweiten Absatz war ein HO Kaffee und Restaurant geplant, „die über den Wirtsräumen liegenden Zimmer sind als internes Hotel für konferierende Deligierte [sic] vorgesehen.“ Zwei Fahnenträgersäulen sollten zugleich als Licht- und Luftschächte dienen. Er schrieb dazu: „Licht- und Fahnenmasten besonderen Gepräges so dass bei festlichen Angelegenheiten die Wimpel aller […] Nationen lustig im Winde wedeln und damit der Altmarkt zum wirklichen Mittelpunkte wird.“ Als Baumaterial gab er roten Meissner Granit massiv oder als Verblendung an, abwechselnd mit Elbsandstein für andere Gliederungselemente. In verschiedenen Skizzen überprüfte Enterlein im Juli 1953 die Einpassung des geplanten Hochhauses in die Stadtsilhouette aus unterschiedlichen Perspektiven – ganz so, wie dies auch Herbert Schneider immer wieder vorgelegt hatte.
Noch für zahlreiche weitere Bereiche der Innenstadt im Umfeld des Altmarktes legte Enterlein Pläne bzw. Ideen für Beamtentürme und kulturelle Nutzungen am Altmarkt, z. B. mit einem „Monster-Kino“ vor, die hier jedoch nicht weiter erläutert werden können (siehe www.sammlungsdatenbank-museen-dresden.de).
Im April 1957 legte Enterlein seine Pläne dem Rat der Stadt vor und hoffte, mit Herbert Schneider „gründliche Aussprache“ halten zu können. 1958 nutzte er sogar Kontakte zum Künstlerischen Beirat der TH Dresden, um seine Pläne Hermann Henselmann vorlegen zu lassen, dem damaligen Chefarchitekten beim Magistrat von Groß-Berlin. Er war eng mit der Deutschen Bauakademie verbunden und damit ein einflussreicher Ansprechpartner. Henselmann schlug eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Deutsche Architektur“ vor, die aber – wenig überraschend – nie erfolgte. Denn seit Nikita Chruschtschows 1953 formulierter Kritik an Stalins „Verschwendungssucht“ müssen die Schneiderschen und Enterleinschen Planungen für ein Turmhochhaus wie ein Planungsrelikt vergangener Zeiten gewirkt haben. Zwar hielt Walter Ulbricht für Dresden weiter an der Idee fest, doch 1959 wurde sie endgültig fallengelassen.
1958 erhielt Enterlein die Information, dass „eine derzeitige Bauausführung“ nicht angedacht sei, er aber eine Anerkennung erhalten solle.10 Wie diese aussah, wissen wir nicht. 1959 wurde offiziell verkündet, dass „kein Wolkenkratzer am Altmarkt“ entstehen solle,11 1963 verstarb Enterlein ohne 1969 noch die Fertigstellung des Kulturpalastes am Altmarkt zu erleben, der zumindest inhaltlich Anknüpfungen an seine Ideen aufweist. Von Linke ist nicht bekannt, ob er von Bayern aus die weiteren Entwicklungen verfolgt hat.
Zum Weiterlesen zu den verschiedenen Wettbewerben bis zur Realisierung des Kulturpalastes:
Susann Buttolo: Planungen und Bauten in der Dresdner Innenstadt zwischen 1958 und 1971, Dissertation Dresden 2010.
Hinweis: Vom 16.12.2023 bis 25.02.2024 ist im Verkehrsmuseum Dresden die Wanderausstellung „Dresden – Brest. Das Bild der Stadt und seine (Re-)Konstruktion“ zu sehen. Die im Blogbeitrag dargestellte Ausstellung von 1946 und der Beitrag von Oswald Enterlein von 1953 werden dort ebenfalls in Kurzform präsent: Plakat – Res Urbanae (res-urbanae.eu) und Entwurf – Res Urbanae (res-urbanae.eu). Zusätzlich ist im Zentrum für Baukultur (Kulturpalast) eine Präsentation studentischer Arbeiten zu Geschichte und Wiederaufbau in Brest und Dresden zu sehen.
- Zur Ausstellung siehe www.blog-stadtmuseum-dresden.de/partizipation ↩︎
- Eine umfangreiche Dokumentation seines Entwurfs mit Lageplan und mehreren Seitenansichten konnte im Rahmen der Recherchen für diesen Beitrag im bisher unbearbeiteten Nachlass von Walter Weidauer im Stadtmuseum Dresden aufgefunden werden (SMD/SD/2023/00072). Bisher war lediglich eine Ansicht als Veröffentlichung in der Münchner Zeitschrift Der Baumeister (Heft 2 v. 1946, S. 9 -15, Abb. S. 14) bekannt. Ausführlicher wird das Material demnächst hier vorgestellt: Claudia Quiring: „Sozialismus der Tat“ von einem „polymorphen Künstler“: Der Entwurf eines Kulturhauses für Dresden von Herbert Linke (1945), in: Festschrift Hartmut Frank. ↩︎
- Die Denkschrift fand sich ebenfalls im Nachlass Weidauers im Stadtmuseum Dresden, SMD/SD 2023/00072. ↩︎
- SMD/SD 2023/00072. 8_9, Bl. 7. ↩︎
- SMD/SD 2023/00072. 8_9, Bl. 3. ↩︎
- Siehe hierzu die Dokumente aus dem Nachlass Weidauers im Stadtmuseum Dresden (SMD/SD/2023/00072) sowie Stadtarchiv Dresden, Bestand 4.1.9, Dezernat Aufbau, Nr. 8. ↩︎
- Otto Schubert: Brief aus Dresden, in: Neue Bauwelt 1946, Heft 9. ↩︎
- Otto Schubert: Brief aus Dresden, in: Neue Bauwelt 1946, Heft 9. ↩︎
- SMD/SD/2023/00045, Typoskript S. 4. ↩︎
- Erna Berndes an Frl. Enterlein, 11.9.1958, SMD/SD/2023/00045. ↩︎
- Kein Wolkenkratzer am Altmarkt!, in: Die Union, 23. April 1959. ↩︎