Gastbeitrag von Daniel Ristau
Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.
Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte
Zur Person:
Benjamin Schnabel wurde 1985 in Dresden geboren. Er ist evangelischer Theologe und Judaist. Sein Studium führte ihn nach Netanja, Leipzig, Gießen, Reutlingen und Tübingen. Im Nebenfach hat er Informatik studiert. Er war Referent für Theologie und Judaistik im Bildungs- und Begegnungszentrum für jüdisch-christliche Geschichte und Kultur in Reichenbach (www.unsere-wurzel.de). Zur Zeit betreut er an der Hochschule der Medien in Stuttgart das Forschungsprojekt JudaicaLink (www.judaicalink.org) für den Fachinformationsdienst Judaica der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (www.ub.uni-frankfurt.de/judaica3/home.html). Er promoviert zum Themenfeld Digitale Geisteswissenschaften und Judaistik.
(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?
Die Idee, ein jüdisches Museum in Sachsen einzurichten, halte ich für allerhöchste Zeit. Wenn man sich die verschiedenen jüdischen Museen in Deutschland anschaut, so fällt auf, dass in Sachsen kein jüdisches Museum existiert. Generell gibt es in Mitteldeutschland kaum jüdische Museen. Ich denke, dass Sachsen ein ausgezeichneter Ort für ein solches Museum ist. Denn Sachsen hat bereits einige kulturelle Orte zu bieten, aber ein jüdisches Museum gehört bisher nicht dazu und wäre eine gute Ergänzung. Es ist für die sächsische Bevölkerung wichtig, sich mit der jüdischen Geschichte im Zusammenhang mit der eigenen lokalen Geschichte auseinanderzusetzen und dem heutigen Judentum zu begegnen. Hinzu kommt die Nähe zu Polen und Tschechien, welche in diesem Zusammenhang auch über eine spannende jüdische Geschichte verfügen.
(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?
Ich bin der Meinung, dass ein festes Gebäude als begehbarer Ort nach wie vor sehr wichtig ist. Ein Museum als Ort der Begegnung regt zum Auseinandersetzen mit der eigenen, persönlichen Geschichte an. Daneben sollte es ein Onlineangebot geben. Beides schließt sich nicht aus, sondern ergänzt einander. Es gibt kein international renommiertes Museum mehr, das nicht über einen guten Webauftritt verfügt. Es wäre eine Möglichkeit, erst einmal mit einer Onlinepräsentation anzufangen und Geschichten, Biografien und Exponate zu präsentieren und erst später ein Museum einzurichten. Eine Onlineplattform ersetzt aber nicht die reale Begegnung und Auseinandersetzungen mit den Exponaten und der Geschichte. Man kann vielmehr in die Geschichte und die Gegenwart eintauchen, wenn man vor realen Objekten steht und sich mit anderen Besucher:innen darüber austauscht. Der Vorteil einer Onlineplattform ist, dass sie überall und zu jedem Zeitpunkt zugänglich ist und relativ geringe Kosten verursacht. Sie generiert aber auch nur wenig Einnahmen. Ein weiterer Vorteil des digitalen Formats wäre, dass Besucher:innen, die sich mit der jüdischen Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen wollen, erstmal in anonymer Form „schnuppern“ und „neugierig“ werden können. Außerdem können Forscher:innen von überall aus schnell und einfach Zugriff auf Information bekommen. Für Schulen kann Bildungsmaterial zum Download zur Verfügung gestellt werden.
Ich bin deshalb generell für beide Angebote, das haptische und das virtuelle. Man kann mit einem Onlineangebot anfangen und anschließend ein Gebäude einrichten, was natürlich länger dauert. Als Standort für eine Ausstellung käme als Landeshauptstadt Dresden in Frage. Leipzig hat wiederum mehr jüdische Geschichte zu bieten – hier lebten schlicht viel mehr Jüdinnen und Juden. Für die Gegenwart jüdischen Lebens sind beide Städte besonders relevant. Ich könnte mir daher vorstellen, dass es eine zentrale Ausstellung in Dresden gibt und noch ein zweiter Standort in Leipzig sowie weitere (Wander-)Ausstellungen in anderen Orten in Sachsens eingerichtet würden. Es gibt z. B. in Reichenbach im Vogtland eine wunderbare Ausstellung des Sächsischen Israelfreunde e. V. (www.zum-leben.de), die vor allem die biblische Geschichte veranschaulicht, auch die Religion und den modernen Staat Israel zeigt. Sie richtet sich vor allem an christliche Gruppen und an Schulklassen. So etwas könnte eine lokale Ausstellung sein. Jüdische Gegenwart muss auch in Form der Begegnung zugänglich gemacht werden. Man kann die Räume des Museums z. B. für Feste, kulturelle Veranstaltungen, Tagungen oder Kurse nutzen. Das jüdische Museum sollte von vornherein als ein Begegnungszentrum konzipiert werden.
(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?
Zum einen sollten Objekte der jüdischen Geschichte und Gegenwart präsentiert werden, vor allem solche, die einen direkten Bezug zur Region haben. Mit analogen und digitalen Lernmethoden sollte die jüdischen Geschichte Sachsens und der umliegenden Regionen bis zur Gegenwart aufgezeigt und erklärt werden, eingeteilt in verschiedene Epochen. So könnte man das Mittelalter, die Aufklärung, die Frühe Neuzeit sowie die neueste Geschichte mit Shoah und die DDR-Zeit sowie die Zeit nach der Wende von 1989/90 zeigen. Anhand von verschiedenen Themenschwerpunkten könnten Akzente gesetzt werden und Besucher:innen wiederholend und zielgerichtet die Ausstellung besuchen. Man sollte auch jüdische Kunst mit internationalem Charakter zeigen. Das wäre ein gutes Gegengewicht zur Documenta in Kassel (www.documenta.de). Aber auch Dokumentationen und Archivmaterialien müssten zu Forschungszwecken archiviert werden. Auf keinen Fall dürften Biografien und Gegenstände, die im Zusammenhang mit denselben stehen, fehlen. Ein Teil der Ausstellung sollte Jüdinnen und Juden gewidmet sein, die einen Beitrag zur sächsischen Geschichte und Kultur geleistet haben. Gerade sie haben diese Region besonders geprägt und man könnte sie dadurch würdigen.
Natürlich sollten auch Ritualobjekte gezeigt werden, um über die Religion aufzuklären. Eine Auseinandersetzung mit dem modernen Staat Israel wäre auch sicherlich ein interessanter Teil des Museums: So könnte man zum Beispiel darauf hinweisen, wie ausgewanderte Jüdinnen und Juden aus Sachsen zum Aufbau des Staates Israel beigetragen haben. Das wäre auch für jene interessant nachzuzeichnen, die in andere Teile der Welt ausgewandert sind.
(4) Wer soll erreicht werden?
Zur Zielgruppe gehören alle Altersgruppen und Menschen aus allen Schichten, also ein Querschnitt der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, für die das Museum ein Ort der gemeinsamen Begegnung, des interkulturellen Lernens und der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wäre. Das Thema ist für jeden relevant, egal wie alt und aus welcher gesellschaftlichen Schicht er kommt. Der Fokus sollte besonders auf Schulklassen liegen. Unter der Woche werden besonders diese die Ausstellung nutzen, weil die Beschäftigung mit jüdischer Religion und Geschichte Teil des Lehrplans sind. So kann Aufklärung und Annäherung geschehen, Vorurteile werden abgebaut, Hass und Antisemitismus wird vorgebeugt.
(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?
Für besonders aussagekräftig halte ich die erst kürzlich „wiedergefundene“ Thorarolle aus Görlitz (https://www.goerlitz.de/uploads/04-Aktuelles-Dokumente/Amtsblatt/Amtsblatt2022/Amtsblatt04_2022.pdf). Die Thorarolle ist nicht nur ein religiöses Objekt, sondern hat auch einen lokalen Bezug zu Sachsen und darum halte ich sie für besonders wichtig. In ihm sind Religion, Geschichte und Region miteinander verbunden.
(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?
Es sollte eine Projektgruppe gegründet werden, die sich um die genaue Umsetzung des jüdischen Museums kümmert. Die Gruppe sollte sich aus Fachleuten und Unterstützer:innen zusammensetzen, wie zum Beispiel Mitglieder der jüdischen Gemeinden und deren Freundeskreisen, Historiker:innen, Judaist:innen, Archivar:innen oder Bibliothekar:innen. Diese Fachgruppe sollte einen Plan entwickeln, wie das jüdische Museum konkret in den nächsten vier bis fünf Jahren umgesetzt werden kann. Außerdem sollte sie sich mit den konkreten Zielen, den Zielgruppen und Inhalten sowie der Präsentation des Museums auseinandersetzen. Auch über kulturelle und Begegnungsveranstaltungen sowie Tagungen und Seminare sollten sie nachdenken.
Es sollte dann mit der Umsetzung einer Onlineplattform angefangen und dadurch Archive und Exponate sichtbar gemacht und katalogisiert werden, die man später ausstellen kann. Ein Onlineangebot ist schneller und günstiger einzurichten als eine Museum – gerade in dieser schwierigen Zeit ist ein reales Museum eher ein sehr langfristiges Projekt.