Um es gleich vorweg zu nehmen: Nicht alle Fenster sind kaputt und bei der fotografierten Aktion blieb alles heil. Aber zuvor war es schon zur Reduktion der ursprünglich sieben Glasmalereifenster von Bruno Dolinski für den Gastronomiekomplex International gekommen. Und das kam so:

Der Auftrag

In den 1970er Jahren entwarf der Maler und Restaurator Bruno Dolinski (1933–2008) für die HO Gaststätte International auf der Prager Straße sieben Glasmalereifenster.

Gastronomiekomplex International auf der Prager Straße, ca. 1972,
Fotograf:in unbekannt, Stadtmuseum Dresden

Dargestellt wurden Dresdens Partnerstädte Breslau, Skopje, Florenz, Ostrava, Coventry, Straßburg und Leningrad (heute St. Petersburg) – wobei dies heute die Partnerstädte Dresdens sind. Florenz wurde es aber erst 1978, Straßburg sogar 1990 und beide damit erst nach Fertigstellung des Baus 1972. Ein etwas rätselhafter Fakt, der hier nicht aufgeklärt werden kann. Die Städte wurden von Dolinski jedenfalls jeweils mit Personen und für die jeweilige Stadt charakteristischen Architekturelementen oder sagenhaften Figuren dargestellt. Die Personen musizieren und tragen teilweise Trachten oder zumindest an Trachten angelehnte Bekleidung. Die mit etwa 2,70 x 1,70 Metern ungewöhnlich großen Fenster– damals wurde von den europaweit größten Glasmalereifenstern gesprochen – wurden von der Glaserei Frank Herzig hergestellt und erhielten ihren Platz im Selbstbedienungsrestaurant „Expreß“.

Innenansicht „Expreß“, ca. 1972,
Fotograf:in unbekannt, Stadtmuseum Dresden
Innenansicht „Expreß“, Broschüre HO Großgaststätte „International“, 1972,
Stadtmuseum Dresden
Innenansicht „Expreß“, Foto: VEB (B) Baukombinat,
ca. 1972, Stadtmuseum Dresden

Die Sächsische Zeitung berichtete 1972, dass Dolinski eine neue, „bei uns noch nicht eingeführte Technik“ benutzt habe: mit Epoxidharz und Härter gebundene Farbe wurde auf die Glasplatte aufgetragen. Dadurch entstehe ein Batikcharakter, die Farbe sei nur schwer in eine exakte Form zu bringen. Doch hier korrigiert der Experte, Glasermeister Körner1: „Die schwarz gemalten Konturen und Lasuren sind in Glasmaltechnik ausgeführt und im Glasmalofen eingebrannt. Diese Technik existiert seit ca. 1000 Jahren und sie wird noch heute von spezialisierten Fachwerkstätten ausgeführt, zum Beispiel auch von der Fa. Glaswerkstatt Körner.“ Gut, nochmal nachgefragt zu haben!

Die Sichtung vor Ort mit Rätselraten

Nicht ohne Grund fragen wir bei Herrn Körner nach: Er zeigte uns auf Bitte der städtischen Denkmalpflege am 14. September die bei ihm eingelagerten Fenster bei einem Außentermin auf der Tharandter Straße.

Mit Glasermeister Körner vor den eingelagerten Fenstern, Foto: Städt. Denkmalamt

Aber das bedurfte, wenn man es fachgerecht machte, der Vorbereitung. Erstmal musste eine objektgroße Glasscheibe zugeschnitten werden, an die die Glasmalereifenster beim Transport zur Stabilisierung gelehnt werden konnten.

Zuschnitt der Glasscheibe, Foto: Stadtmuseum Dresden

Und dann war es soweit: Nach und nach wurden die Glasfenster behutsam aus dem kleinen Lager getragen und auf einem Transportgerüst ins Licht gerollt. Trotz ihres Alters und trotz des trüben Nieselregenwetters leuchteten sie. Alle Zuschauenden waren begeistert.

Nun begann das Rätseln, welches Motiv auf welchem Fenster zu sehen ist. Als Grundlage dienten die in Vorbereitung auf den Termin durchgeführten Grobrecherchen in Fotobeständen und historischen Publikationen. Dort waren aber nicht alle Motive komplett und eindeutig benannt, zudem manche nur in Schwarzweiß abgebildet.

Aber das Thema der ersten Scheibe war noch recht einfach zu klären: Leningrad mit drei Schifferklavier spielenden und singenden Matrosen im Zentrum.

Fenster 1, Foto: Städt. Denkmalamt

Die kyrillischen Schriftzeichen auf der Mütze eines der Matrosen identifizieren sie als Besatzung des Panzerkreuzers Aurora (Аврора), d e m  Symbol für die Oktoberrevolution, die in St. Petersburg auf diesem Schiff ins Rollen gekommen sein soll. Die Stadtarchitektur wurde u.a. mit der Reitergruppe vom Triumphbogen des Generalstabsgebäudes angedeutet.

Dann kam das zweite Fenster: Das war nicht ganz so leicht.

Fenster 2, Foto: Städt. Denkmalamt

In Frage kamen noch Skopje, Breslau, Florenz, Ostrava, Straßburg und Coventry:  Die Figuren erschienen nicht sehr eindeutig. Aber konnte man Bauten zuordnen? Ja, der Kirchenbau im Hintergrund war die charakteristisch einturmige Kathedrale von Straßburg! Und so erklärt sich wohl auch die Dame mit Rose direkt neben dem Kirchenbau, bei der es sich damit um die Namenspatronin der Kathedrale, Maria, handelt.

Detail Fenster Straßburg, Foto: Städt. Denkmalamt

Das dritte Fenster gab auch Anlass zum Rätseln.

Fenster 3, Foto: Städt. Denkmalamt

Die nackte Frau auf dem Pferd war hier sehr auffällig und musste etwas bedeuten. Eine genauere Bildanalyse zurück im Büro brachte die Lösung: Dargestellt ist Coventry und die Frau auf dem Pferd stellt die sagenhafte Lady Godiva dar, die im 11. Jahrhundert zur Erwirkung von Steuerermäßigungen für das Volk nackt durch die Stadt geritten sein soll, nur bedeckt von ihren langen Haaren. Seit 2018 findet sich die Gestalt auch auf dem Stadtwappen Coventrys. Ursprünglich waren dort drei goldene gezinnte Türme dargestellt – womit auch die drei Türme geklärt wären, die von Dolinski sogar recht realistisch wiedergegeben wurden.

Beim vierten Fenster half geballtes kunsthistorisches Wissen, um den Ponte Vecchio und das Grabmal für Giuliano de Medici von Michelangelo eindeutig der Partnerstadt Florenz zuordnen zu können.

Fenster 4, Foto: Städt. Denkmalamt

Damit fehlen die Darstellungen von Ostrava, Breslau und Skopje, von denen bisher nur sehr schemenhafte Fotos gefunden wurden. Oder die Zuschreibungen stimmen (noch immer) nicht…

Wie waren die Fenster überhaupt in diese Garage und zu Herrn Körner gekommen? Und wo sind die restlichen Fenster?

Die Vorgeschichte

2006 berichtete Matthias Hahndorf in einer Publikation zur Prager Straße über die Dolinski-Fenster: „Diese sieben Fenster sind nach bisherigem Erkenntnisstand die einzigen Gestaltungsmerkmale aus dem gesamten Restaurantkomplex, welche nach der Übernahme des Gebäudes durch die Karstadt AG erhalten und eingelagert wurden.“2 Tatsächlich wurden sie irgendwann nach der 1992 erfolgten Übernahme durch die Warenhauskette von einer Glaswerkstatt eingelagert, möglicherweise erst kurz vor Abriss des Gebäudes 2006 – bis diese in Finanznot kam, die Räume wechseln musste und die Fenster an einen anderen Besitzer gingen. Und der sah in den ungewöhnlich großen, bunten und gut erhaltenen Glasmalereifenstern auch noch etwas Anderes: einen möglicherweise rentablen Verkaufsposten. Als eine Käuferin – im Hinterkopf eine Art privates DDR-Museum – Interesse bekundete, wurden ihr die Fenster vorgeführt. Aber leider waren hier keine Fachleute am Werke: Die Fenster wurden eins nach dem anderen zum Anschauen nach vorne gekippt. Beim dritten Mal bewirkte das Gewicht, dass der ganze Stapel umkippte und den Eigentümer bis zur Hüfte unter Glasbruch begrub. Die Kaufinteressierte hatte noch beiseite springen können, der Eigentümer blieb – im Gegensatz zu den drei Glasmalereifenstern – unverletzt. Ergebnis der Aktion: sehr viele bunte Glasscherben.

Zerstörtes Glasmalereifenster (Motiv: Skopje), Foto: Glaswerkstatt Körner

Die zerstörten Fenster und auch die noch weitestgehend intakten restlichen vier Glasmalereifenster störten nun und sollten weg. Und es fand sich 2021 ein Interessierter: Die Glaswerkstatt Körner übernahm das Material und lagerte es ein. Der Glasscherbenhaufen wurde größtenteils entsorgt, da die Bruchstücke nicht mehr verwendet werden konnten. Nur einige größere Stücke wurden aufgehoben, wie dasjenige mit den Initialen von Bruno Dolinski.

Bei genauerer Betrachtung tut sich auch hier wieder ein Rätsel auf. Warum ist die Zahl „79“ vermerkt? Ist das Jahr 1979 gemeint? Das Restaurant International war doch bereits 1972 fertiggestellt worden. Kam dieses Fenster erst später hinzu? Vielleicht können Archivrecherchen (oder Leserinnen) hier noch Aufklärung bringen.

Die Fortsetzung der Geschichte und die Frage der Zukunft

Und wie kam es zum Außentermin? Auf die Bruchstücke stieß letztes Jahr die Hobbymosaikkünstlerin Claudia Atts, die sich mit Genehmigung der Werkstatt Körner an einer Restekiste für ihre Zwecke bedienen darf. Und sie fragte nach, was es damit auf sich habe. Als sie die Geschichte erfuhr, wandte sie sich an verschiedene Institutionen und so kam die Geschichte über den Dresdner Geschichtsverein auch an das Stadtmuseum Dresden. Es stand damit die Frage im Raum, ob das Museum die Fenster in die Sammlung übernehmen könnte. Doch hier sind die Möglichkeiten des Umgangs mit solch speziellen Arbeiten nicht gegeben: Die Größe ist die erste Herausforderung, der Transport die zweite: Glasmalereifenster sind ohne Rahmung instabil, sie schwingen sehr schnell und Einzelelemente können sich lösen oder brechen – wie die Geschichte ja schon deutlich gezeigt hatte.

Und machte es, auch in Hinblick auf die immer schwierige Raumsituation in den Depots, überhaupt Sinn, die Fenster einzulagern und dann aufgrund des Aufwands und der potentiellen Gefährdung nie zeigen zu können? Besser wäre eine neue Präsentation im öffentlichen Raum – wenn nicht am originalen Ort, der ja nicht mehr existiert, dann vielleicht an einem neuen. Geleitet von dieser Überlegung nahm das Stadtmuseum Kontakt mit der städtischen Denkmalpflege auf und so kam es Mitte September zum oben geschilderten gemeinsamen Termin vor Ort.

Auch jetzt ist der weitere Verbleib noch unklar. Denn es geht um nicht unerhebliche Geldmittel, die aufzubringen wären, für Kauf, Reparatur und Transport und natürlich auch um einen geeigneten Ort zu finden. Bernhard Sterra, Abteilungsleiter Denkmalschutz/Denkmalpflege, jedenfalls hält den Einbau in ein öffentlich zugängliches Gebäude für prinzipiell wünschenswert.

Ein anderes Glasfenster von Dolinski hat bereits eine Zweitverwendung gefunden, wenn auch nicht in Dresden: Ein ursprünglich in der Yenidze eingebautes Fenster thematisiert die Tabakherstellung und schmückt seit 1993 die Kantine des Philip Morris-Werks in München. Der Fensterentwurf befindet sich im Stadtmuseum Dresden und war 2021 in der Tabakausstellung zu sehen.3

Für die vier Glasfenster von der Prager Straße hoffen wir auf eine ähnliche, möglichst in Dresden lokalisierte Fortsetzungsgeschichte. Jetzt danken wir schon einmal der Glaswerkstatt Körner für die Sicherung des Materials sowie der aufmerksamen Hinweisgeberin Claudia Atts, die die Sache ins Rollen brachte!

Aktualisiert am 29.9.2023, 11 Uhr

  1. www.glaswerkstatt.de ↩︎
  2. Matthias Hahndorf: Restaurant „International“, in: Dresden–Architektur der Nachkriegsmoderne, Reihe Zeitzeugnisse, hrsg. vom Sächsischen Archiv für Architektur und Ingenieurbau am Zentrum für angewandte Forschung und Technologie e. V., Heft 3, Dresden 2006, S. 52–55, hier S. 55. ↩︎
  3. Objekte derAusstellung „Tabakrausch an der Elbe“ in der Online-Datenbank der Museen der Stadt Dresden: www.dresden-collection-online.de ↩︎