Gastbeitrag von Hannes Täger

Max Immelmann, Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, ist im In- und Ausland eine der bekanntesten Persönlichkeiten aus Dresden. Jeder Flieger kennt seinen Namen, da eine bekannte Kunstflugfigur nach ihm benannt ist. In den 108 Jahren seit seinem Absturz befasste sich eine Unmenge von Artikeln und Büchern mit Leben und Tod des Fliegers. Die Geschichte seines Grab- und Ehrenmals in Dresden-Tolkewitz wurde hingegen kaum erwähnt. Besucher des Urnenhains fragen sich oft: Wer gab Immelmann den Namen „Adler von Lille“? Welche Entstehungsgeschichte hat das Grabmal? Im Gastbeitrag beantwortet Hannes Täger diese Fragen.

Max Immelmann

Oberleutnant Max Immelmann (1890-1916)
Fotograf: Liersch / Sammlung Täger

Der Dresdner Jagdflieger Max Immelmann (* 21. September 1890 Dresden, † 18. Juni 1916 Avion/Frankreich) gehört trotz seiner „nur“ 15 Luftsiege zu den berühmtesten Fliegern des Ersten Weltkriegs. Neben seinen militärischen und fliegerischen Leistungen in den Jahren 1915/16 und deren Heroisierung durch die deutsche Presse trug sein Verhalten entscheidend zu seinem Nachruhm bei. Sein humaner Umgang mit den besiegten, überlebenden Gegnern aus den Reihen des Royal Flying Corps (Königliches Fliegerkorps) war legendär. Immelmann führte bereits nach seinem ersten Luftsieg die medizinische Erstversorgung des notgelandeten Feindes durch. Verwundete Gegner wurden von ihm im Lazarett besucht und mit Zigaretten und Schokolade beschenkt. Informationen über das Schicksal dieser Kriegsgefangenen und ihrer gefallenen Kameraden warfen Max Immelmann und seine Kameraden bei Flügen hinter den feindlichen Linien ab. Selbst Briefe der Gefangenen an ihre Angehörigen gehörten zu dieser Fracht. Heute würden derartige Handlungen einen Flieger im Krieg vor ein Kriegsgericht bringen! Doch damals erfreute sich Oberleutnant Max Immelmann bei Freund und Feind größter Popularität. In der „Daily Mail“ vom 8. April 1916 bezeichnete ihn der Kriegsreporter William Beach Thomas respektvoll als den „Eagle of Lille“ (Adler von Lille).1 Dieser Ehrenname ging innerhalb weniger Tage um die Welt und wurde von der deutschen Propaganda übernommen. Am 18. Juni zerbrach Immelmanns Fokker beim Luftkampf nahe Lens in Nordfrankreich. Die Bruchteile schlugen westlich Sallaumines auf.

Trümmer des Vorderteils von Immelmanns Fokker
Fotograf unbekannt / Sammlung Täger

Vom Erstentwurf bis zur Einweihung

Bereits kurz nach Oberleutnant Immelmanns Tod wurden in Dresden Stimmen laut, die eine würdige Ehrung des berühmten Fliegers forderten. Genau ein Jahr nach seinem Absturz, am 18. Juni 1917, entschied der Rat der Stadt Dresden – bei einer Gegenstimme der USDP, die sich gegen die Ehrung einer Einzelperson aussprach – im Urnenhain in Dresden-Tolkewitz ein würdiges, künstlerisch auszuführendes Denkmal aufzurichten. In diesem sollte die Urne des Fliegers beigesetzt werden. Das städtische Hochbauamt wurde mit der Ausführung der Pläne beauftragt. Das Stadtverordnetenkollegium bewilligte in einer Sitzung die notwendigen finanziellen Mittel. Bereits im Dezember 1917 wurde ein Wettbewerb zur Gestaltung eines sogenannten Gedenksteins unter den Künstlern Dresdens und seiner Vororte ausgelobt. Preisrichter waren unter anderem die Architekten Hans Poelzig (Stadtbaurat) und Martin Dülfer (TU Dresden), die Bildhauer Georg Wrba und Selmar Werner sowie Oberbürgermeister Dr. Bernhard Blüher.

Die Zeitschrift „Kunstchronik“ berichtete:

In dem Wettbewerb für einen Gedenkstein für den gefallenen Fliegerhelden Immelmann, der in der Hauptallee des Friedhofs zu Dresden-Tolkewitz aufgestellt werden soll, erhielt den ersten Preis (1000 M.) der Entwurf Adler von Lille von dem Architekten Hans Richter und dem Bildhauer Johannes Born, den zweiten Preis (500 M.) der Entwurf Kampfflieger von dem Bildhauer Theodor Winde, den dritten Preis (300 M.) der Entwurf Roter Granit von dem Bildhauer Kurt Maruschka. Zum Ankauf empfohlen wurden die Entwürfe Meißner Granit und Im Luftkampf, erster von dem Architekten Prof. Menzel, letzterer von dem Bildhauer Alexander Nitzsche. Alle Preisträger sind Dresdener Künstler. 105 Entwürfe waren eingegangen.

Kunstchronik, Wochenschrift für Kunst und Gewerbe, XXIX. Jahrgang, 29. März 1918, S. 262

Wer waren die Gewinner des ersten Preises? Der Architekt Hans Richter (* 14. April 1882 Königswalde/Österreich-Ungarn, heute Království/Tschechien, † 10. Dezember 1971 Dresden) wurde in den 1920er Jahren einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten Neuen Bauens in Dresden. 1918 dürfte er jedoch mangels realisierter Bauten noch weitgehend unbekannt gewesen sein.2  

Der Bildhauer Johannes Ernst Born (* 20. Dezember 1884 Niederfähre bei Meißen, † 30.11.1958 Mitterteich) arbeitete bis 1945 in Dresden und zog danach in die Pfalz.3 Auch er war nach seinem Studium bei Karl Groß und Georg Wrba in Dresden noch nicht stärker in Erscheinung getreten. Später gestaltete er einige Kriegerdenkmale in sächsischen Städten, z.B. das Denkmal für die Gefallenen des Reserve-Jäger-Bataillons Nr. 26 in Freiberg und das Kriegerdenkmal in Pulsnitz. Letzteres ist bemerkenswert, weil es keinen Krieger oder Soldaten zeigt, sondern eine vor Gram und Schmerz sich krümmende, trauernde Frau.

Für das Immelmann-Grabmal entwarfen Richter und Born auf einem kleinen Sockel mit Gitter eine schlanke, sich zum Boden verjüngende Stele mit hieroglypenartigen Zeichnungen. Sie sollten vermutlich drei Flugzeuge, die Erde mit Adler, einen Propeller und Flugbewegungen symbolisieren. Unter dem Antlitz eines Fliegers steht der Name Immelmann, an der unteren Stufe des Sockels „ADLER VON LiLLE“. Bekrönt wird die Stele von einem abstrahierten Adler mit geöffneten Schwingen.

Hans Richter/Johannes Ernst Born: Entwurf „Adler von Lille“ (1. Preis), 1918, Stadtarchiv Dresden, 6.4.40.1 Stadtplanungsamt Bildstelle, Nr. V38, 1918
Theodor Arthur Winde: Entwurf „Kampfflieger“ (2. Preis), 1918, Stadtarchiv Dresden, 6.4.40.1 Stadtplanungsamt Bildstelle, Nr. V39, 1918

Theodor Winde dagegen sah auf einem Podest mit Inschriftentafel zwei naturalistische Adler vor, einer geschlagen am Boden liegend, der andere siegreich auf ihm sitzend.

Doch Revolution, Nachkriegswirren, Inflation und fehlende Finanzmittel verzögerten die Errichtung eines würdigen Ehrenmals. Jahrelang ruhten die sterblichen Überreste von Max Immelmann in einer Urne in einem Raum im Krematorium Tolkewitz. Später wurde ein provisorisches Grab angelegt. Ein weißes Holzkreuz trug die schwarze Aufschrift „Immelmann“. Bei einer Immelmann-Gedenkfeier des Rings der Flieger wurde Anfang 1925 zu Geldspenden für das Ehrenmal aufgerufen. Auch der Immelmann-Gedächtnisflugtag im Jahr 1926 diente diesem Zweck. Hauptattraktion des Flugtags war Curt Wüsthoff, ein Ritter des Ordens „Pour-le-Mérite“ und ehemaliger Jagdflieger im Jagdgeschwader 1 Richthofen. Doch die Flugveranstaltung am 18. Juli 1926 endete in einer Katastrophe! Wüsthoff, der einen Doppeldecker Udet U 12a Flamingo mit dem Kennzeichen D 198 flog, schlug nach einem doppelten Looping am Boden auf und wurde aus der Maschine geschleudert. Er erlag seinen schweren Verletzungen fünf Tage später. Am 27. Juli 1926 erfolgte seine Beisetzung auf dem Tolkewitzer Friedhof. Doch dieses tragische Ereignis setzte den Spendenaufrufen und Sammlungen für Immelmanns Ehrenmal durch den Verein Dresden des Deutschen Luftfahrt-Verbandes e. V. kein Ende.

Letztendlich war es Peter Pöppelmann (* 24. April 1866 Harsewinkel/Westfalen, † 6. November 1947 Dresden), der den „Adler von Lille“ erschuf.4

Peter Pöppelmann: Grab- und Ehrenmal Max Immelmann, 1928 (vermutlich)
Fotograf:in unbekannt, SMD/Ph/2021/00241

Der Bildhauer, Grafiker und Medailleur arbeitete seit 1890 in Dresden, wo er 1907 zum Professor an der Kunstakademie berufen wurde und viele bildhauerische Aufträge unter anderem für Grabmale erhielt. Für das Immelmann Grab- und Ehrenmal schuf er auf einem steinernen Sockel in Bronze einen mit Kurzschwert bewaffneten nackten Jüngling, der auf einer Kugel (dem Erdball) steht und seinen Arm himmelwärts streckt. Wann und warum er die Sepulkralplastik schuf, und ein völlig anderes Werk als die Wettbewerbssieger von 1917/1918 kreierte, ist bisher unbekannt.

Honoratioren, Reichswehr-Soldaten und Studenten während der Einweihungsfeier 1928
Foto: Wudrack / Sammlung Täger

Am 24. Juni 1928 erfolgte die Einweihung des Grab- und Ehrenmals. Die Mutter Max Immelmanns (1862-1952) war aus der Schweiz per Flugzeug angereist. Auch Franz Immelmann (1891-1970), der jüngere Bruder des berühmten Jagdfliegers, war gekommen und hatte seine Fliegeruniform mit allen Ehrenzeichen angelegt. Pfarrer Dr. Kautzsch, der bereits 1916 bei Immelmanns Beisetzung gesprochen hatte, hielt die Gedenkrede. Major Rosenmüller vom Verein Dresden des Deutschen Luftfahrerverbandes und Oberbürgermeister Dr. Blüher sprachen ebenfalls. Kranzniederlegungen durch Vertreter der Technischen Hochschule, der Offiziersvereinigungen und anderer Organisationen beendeten die Veranstaltung.

Obwohl Immelmanns Eigenschaften dem Kriegerideal der Nazis nicht voll entsprachen, wurden sein Name und das Ehrenmal im NS-Staat massiv mißbraucht.5 Den Zweiten Weltkrieg und die schwierige Nachkriegszeit überstand der „Adler von Lille“ unbeschädigt. In der DDR halfen Ansi Zimmerer und der verstorbene Ulrich Reißbach aus Dresden bei der Pflege des Grabes.

Ansi Zimmerer im Jahr 2014 am Grab- und Ehrenmal
Foto: Täger / Sammlung Täger

Grabräuber am Werk

Am 30. Januar 2021 in der Stunde vor Mitternacht bemerkte ein Anwohner, der auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz wohnt, ungewöhnliche Aktivitäten am Ankertor. Er alarmierte die Polizei. Diese war schnell zur Stelle und nahm zwei Verdächtige fest. Im Transporter eines 60-jährigen Trödelhändlers lag die 1,80 m große Figur des „Adlers von Lille“ (Schätzwert 50.000 €). Sein Helfer war ein 36-jähriger Kleinkrimineller.

Der Sockel mit der Inschrift „Immelmann Adler von Lille“ nach dem Raub der Skulptur
Foto: Täger / Sammlung Täger

Erst Ende November 2023 wurde der Fall an zwei Tagen vor dem Amtsgericht Dresden verhandelt. Der Autor dieses Beitrags war dort und erlebte einige Überraschungen. Mehrere Zeugen hatten nach fast drei Jahren Erinnerungslücken. Einige der Beweismittel, und zwar DNS-Tests und Materialtests, brachten nicht die erwarteten eindeutigen Ergebnisse. Selbst der gewaltsame Einbruch in den Friedhof konnte nicht nachgewiesen werden, weil ein Zeuge aussagte, dass „es unter Eingeweihten kein Geheimnis war, dass sich das verschlossene Eingangstor durch heftiges Rütteln öffnen ließ.“ Dennoch verhängte Strafrichter Dr. Spindler Bewährungsstrafen von einem Jahr und sechs bzw. sieben Monaten. Die beiden Verteidiger legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichtes ein. Sie sehen offenbar gute Chancen für ein milderes Urteil oder den Freispruch ihrer Mandanten. Der Termin für die erneute Verhandlung des Falls am Landgericht Dresden ist noch nicht bekannt.

Immelmanns Grab nach der Restaurierung am 18. Juni 2021
Foto: Täger / Sammlung Täger

Restaurierung und Wiederaufrichtung

Die durch den Diebstahl verursachten Schäden waren zwar relativ gering, aber dennoch deutlich sichtbar. Das Schwert des Jünglings und die Grundplatte waren verbogen, die Schraubverbindungen der Kugel beschädigt und zahlreiche Abschürfungen der Patina reichten bis auf die Bronze. Das machte eine Restaurierung und Konservierung erforderlich. Diese führte der Meißener Metallbildner und Restaurator Heiko Helm nach Vorgaben des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen aus. Das Unternehmen von Herrn Helm arbeitete professionell, schnell und gewissenhaft sowie mit viel Liebe, Verständnis und Geschick. Am 15. Juni 2021 kehrte „Der Adler von Lille“ auf seinen Kalksteinsockel zurück. Er sieht nun schöner aus als zuvor, ohne aber die Spuren des Alters und somit seiner Geschichte vermissen zu lassen. Die vielleicht bekannteste Skulptur des Urnenhains ist seitdem wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.

Zum Autor

Dr. oec. Hannes Täger (geb. 08.01.1959) studierte Ingenieurökonomie der Metallurgie an der damaligen Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft der TU Bergakademie Freiberg. 1998 begann er sich in seiner Freizeit vermehrt der Erforschung der frühen deutschen Luftfahrtgeschichte zu widmen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Luftkriegsgeschichte 1914-1918 unter besonderer Beachtung der sächsischen Flieger. Gegenwärtig schreibt er eine Biografie des Jagdfliegers Max Immelmann.
Seit 2002 ist Täger als Autor und seit 2012 als Contributing Editor von „Over the Front“ tätig, des Journals der „League of World War I Aviation Historians“. In der Ausgabe Autumn (Herbst) 2024 schildert er die Geschichte von Immelmanns Grab- und Ehrenmal. Dieser Artikel ist die Grundlage für den Text im Blog des Stadtmuseums.


  1. Täger, Hannes, PhD: The Article that Coined Max Immelmann’s Sobriquet „The Eagle of Lille“, Over the Front, Volume 31, Number 3 Autumn, 2016, pp 220 ↩︎
  2. Weitere Informationen zu Hans Richter sind hier zu finden: www.hans-richter.eu ↩︎
  3. „Ein Recht auf Trauer“ – Volkstrauertag 2020, siehe www.grossroehrsdorf.de ↩︎
  4. www.lwl.org/westfaelische-geschichte ↩︎
  5. Das von seinem Bruder Franz herausgegebene Buch „Immelmann – Der Adler von Lille“ (1934) spielte bei der Vereinnahmung Max Immelmanns durch die Nationalsozialisten eine wichtige Rolle. Eine Auflistung und Beschreibung der entsprechenden Ehrungen für Immelmann erfolgt in der aktuell durch den Autor in Vorbereitung befindlichen Biografie Immelmanns. ↩︎

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