Am 26. April 2021 berichtete die Sächsische Zeitung: „Dresden bekommt ein Jüdisches Museum“. Drei Tage zuvor hatte sich der Dresdner Stadtrat einstimmig für die Errichtung eine solche Institution in der Elbestadt entschieden. Kurz zuvor, am 21. April, hatte sich auch der Leipziger Stadtrat für ein „Jüdisches Museum“ in der Messestadt beworben, wie die Leipziger Zeitung berichtete. Wer indes nach einer öffentlich geführten Debatte zur Thematik sucht, der wird bislang enttäuscht. Lediglich einzelne Zeitungsartikel, die vor allem in den letzten beiden Jahren für Dresden erschienen, präsentierten erste Ideen und erste Kritik. Sie gingen jedoch letztlich kaum über die Diskussion eines möglichen Standorts hinaus, wobei in Dresden vor allem der verfallene Alte Leipziger Bahnhof und das – freilich erst wieder neu zu errichtende – Palais Oppenheim als mögliche museale Orte vorgeschlagen wurden. Konkrete Ziele, Inhalte und Objekte, Zielgruppen und Programm einer solchen Einrichtung sind bislang ebenso unklar, wie die Rolle, die die vielen lokalen und regionalen Akteur:innen zur jüdischen Geschichte und Kultur dabei spielen sollen, und die Frage der dauerhaften Finanzierung.

Druckgrafik Leipziger Bahnhof, um 1850, Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, 1958/22
Haupteingang des Empfangsgebäudes von 1857, Oktober 2021. Foto: Christina Ludwig

Seit den Stadtratsbeschlüssen vom Frühjahr wird in Dresden und Leipzig im kleinen Kreis und in Arbeitsgruppen unter Einbindung von Politik, jüdischen Gemeinden und einzelnen Initiativen zur jüdischen Geschichte und Kultur über die Umsetzung der Museumsidee beraten. Eine echte öffentliche und vor allem vertiefende inhaltliche Debatte ist jedoch nicht abzusehen. Doch gerade die inhaltliche Konzeption und Ausrichtung eines wie auch immer umzusetzenden Museums zu jüdischer Geschichte und Gegenwart sollte zur Diskussion gestellt und verhandelt werden – allein schon deshalb, weil eine entsprechende Institution konkrete Standpunkte und Vermittlungsebenen des „Jüdischen“ transportiert.

Das „Juden-Cabinet“ in Dresden: Von der Faszination des „Jüdischen“ im 18. Jahrhundert

Bereits vor drei Jahrhunderten, als der sächsische Kurfürst Friedrich August I. (der Starke; 1670–1733) als polnischer König und Großherzog von Litauen über die größte Judenschaft Europas herrschte, sammelten höfische und geistliche Eliten sowie Gelehrte Judaika, also Objekte, die als in Bezug zum Judentum stehend betrachtet wurden. August der Starke selbst trug im Wallpavillon des Dresdner Zwingers entsprechende „Kuriositäten“ zusammen: Dazu gehörten Modelle des Stiftszelts und des Tempels Salomonis sowie eine Synagogeneinrichtung, zu der sogar eine Rabbinerpuppe gehörte. Bis zur Auflösung dieses sogenannten „Juden-Cabinets“ Anfang der 1830er-Jahre erschienen Berichte dazu auch in zeitgenössischen Reisebeschreibungen. Manchen gilt die Sammlung auch als „das erste, einer breiten Öffentlichkeit zugängliche jüdische Museum der Welt“ (Michael Korey).

Modell des Tempel Salomonis im Museum für Hamburgische Geschichte (Quelle: wikimedia.commons, 2013)

Jüdische Sammlungen und Museen seit dem 19. Jahrhundert

Objekte zur jüdischen Geschichte und Religion wurden auch in Dresden gesammelt und ausgestellt. Der Hofantiquar Albert Wolf (1834–1907) trug eine umfangreiche Sammlung von Objekten mit jüdischem Bezug zusammen, darunter Medaillen, Ringe und Siegel, die er der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vermachte. Sie bildete den Grundstock für das wenige Tage vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 eröffnete Jüdische Museum in Berlin. Die I. Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911 wendete sich in einer „Jüdischen Abteilung“ auch dem Thema „Hygiene der Juden“ zu.

Medaillen aus der Sammlung von Albert Wolf (Quelle: EJ Bd. 8 (1904), S. 402 f.)

Das erste, nach wissenschaftlichen Ansprüchen gegründete Jüdische Museum eröffnete bereits 1895 in Wien. Museen und Sammlungsabteilungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Trägern folgten an vielen Orten. Zu den bekanntesten im Deutschen Reich gehörte das 1922 in Frankfurt am Main dem Publikum zugängliche Museum Jüdischer Altertümer. Gesammelt wurden insbesondere Kultusobjekte, darüber hinaus aber auch Material zu Recht und Rechtsstellung von Jüdinnen und Juden im deutschen Raum. Die Objekte dienten nicht nur als Ausweis eines jüdischen Beitrags zur allgemeinen Kulturgeschichte, sondern sollten auch das jüdische Gemeinschaftsgefühl fördern.

Auch ethnologische Museen und Sammlungen weiteten ihre Objektsuche auf Judaika aus: Im Februar 1930, dem Jahr der II. Internationalen Hygiene-Ausstellung, rief in Dresden der Direktor der staatlichen Museen für Tierkunde und Völkerkunde, Arnold Jacobi (1870–1948), zur Gründung einer Sammlung der jüdischen Volkskunde auf. Der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde unterstützte dieses Ansinnen, indem er den Aufruf im Gemeindeblatt abdruckte und den Gemeindemitgliedern die Förderung des Projekts als „Ehrensache […] durch Ueberlassung von Gegenständen des häuslichen Kultus“ anheimstellte. Ob und welche Objekte Jacobi schließlich tatsächlich erhielt, ist bislang nicht geklärt.

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933, die durch NSDAP und staatliche Behörden forcierte Ausgrenzung von als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen, die Verheerung Europas im Zweiten Weltkrieg und die Shoah unterbrachen die Geschichte jüdischer Museen im deutschen Raum. Ein Zeugnis der Zerstörung der jüdischen Gemeinden war das 1943 in Prag eröffnete Jüdische Zentralmuseum, in das etwa 100.000 synagogale und rituelle Objekte zusammengetragen wurden. Bestehende Museen und Sammlungen wurden dagegen geplündert, zerstört und zerstreut – bis heute sind die Provenienzforschung und Restitutionsverfahren nicht abgeschlossen.

Jüdische Museen nach 1945

Die nach der Shoah neu gegründeten Sammlungen und Museen – das erste große Jüdische Museum eröffnete 1988 in Frankfurt am Main – sahen ihre Legitimation und ihren Auftrag vor dem Hintergrund der Shoah zunächst meist darin, Spuren jüdischen Lebens und seiner Zerstörung zu dokumentieren. Inzwischen sind die thematische Bandbreite und museale Vermittlung deutlich vielfältiger angelegt, wie etwa das Jüdische Museum Berlin mit seiner neuen Dauerausstellung, vielen Sonderausstellungen, digitalen wie Bildungsangeboten exemplarisch zeigt.

Im Osten Deutschlands blieb die Zahl jüdischer Museen auch als Folge der Nichtrelevanz des Themas bis in die Endphase der DDR überschaubar. In Halberstadt (Berend Lehmann Museum für jüdische Geschichte und Kultur), Gröbzig (Museum Synagoge Gröbzig) und Erfurt (Alte Synagoge Erfurt) können heute Jüdische Museen an konkreten ehemaligen Orten jüdischen Lebens besucht werden. Die auf den ersten Blick kleine Zahl darf indes gerade auch für Sachsen über eines nicht hinwegtäuschen: Seit den 1980er-Jahren gab und gibt es immer wieder große (Wander-)Ausstellungen zu ganz unterschiedlichen Facetten jüdischer Geschichte und Kultur, Veranstaltungen an unzähligen alten wie neuen Gedenk- und Erinnerungsorten, jüdische Wochen und Kulturveranstaltungen, Bildungs- und Antisemitismuspräventionsprojekte und digitale Formen der Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und Gegenwart. Meist sind diese von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur:innen getragen. Vor allem aber beschränken sich diese Angebote nicht auf die heutigen Orte der drei sächsischen jüdischen Gemeinden in Chemnitz, Dresden und Leipzig, sondern finden auch in vielen kleineren Städten statt.


Die Wanderausstellung BRUCH|STÜCKE – Die Novemberpogrome in Sachsen 1938 im Beruflichen Schulzentrum für Technik und Wirtschaft „Julius Weisbach“ in Freiberg 2018 (Quelle: D. Ristau 2018)

Ein „Jüdisches Museum“ für Sachsen: Gründungsversuche

Auch in Sachsen gab es spätestens seit den 1990er-Jahren Überlegungen zur Gründung jüdischer Museen oder Dauerausstellungen. So arbeitete die 1992 gegründete Ephraim-Carlebach-Stiftung in Leipzig an der Konzeption für ein Museum, das bis zum Jahr 2000 eröffnet werden sollte. Grundlage für diese Arbeit war unter anderem die erste große Ausstellung zur Geschichte der Juden in der Messestadt im Jahr 1988. Trotz erster Sponsorenzusagen kam es nicht zur Museumsgründung. 2006/2007 beabsichtigte dann die Stiftung „Deutsches Holocaust-Museum“ in Hannover die Einrichtung eines Holocaust-Museums in Leipzig, wofür dann der sogenannte Sowjetische Pavillon auf dem Gelände der Alten Leipziger Messe als Ort angedacht war. Das Vorhaben fand zwar zahlreiche Unterstützer aus Politik, Kultur und Gesellschaft, wurde wegen inhaltlicher Unschärfen jedoch auch deutlich kritisiert und nicht umgesetzt. In Görlitz gab es in den 2000er-Jahren die Idee, in der ehemaligen Synagoge auch ein Museum über jüdisches Leben in der Neißestadt zu etablieren. In Dresden gründete sich wiederum im Herbst 2013 ein Verein zur Förderung des Jüdischen Museums Dresden, der sich bis Ende 2015 für eine entsprechende Einrichtung in der Landeshauptstadt einsetzte, allerdings nicht öffentlich in Erscheinung trat. Wenige Monate später setzten dann jene vereinzelten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel vor allem zu möglichen Standorten eines jüdischen Museums in Dresden ein, die sich bis heute – nun auch für Leipzig – fortsetzen.

Das Achilleion (Sowjetischer Pavillon) auf dem Gelände der Alten Messe in Leipzig (Quelle: wikimedia.commons, 2010)

Debattenimpulse: Bloginterviews zur Idee eines „Jüdischen Museums in Sachsen“

Intervention „Rethinking Stadtgeschichte“ in der Ständigen Ausstellung des Stadtmuseums Dresden

Angesichts der offensichtlichen Nicht-Debatte ist es einer der Beweggründe der Intervention „Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten“, Impulse zu einer breiten Auseinandersetzung mit der Idee eines „Jüdischen Museums in Sachsen“ zu setzen. Im Rahmen des Begleitprogramms zur Intervention werden in den kommenden Wochen im Blog Standpunkte von Akteurinnen und Akteuren, Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden in Sachsen, Politik und Gesellschaft sowie von Expertinnen und Experten in Interviews erscheinen. Argumente, Kritik und Perspektiven kommen auf den Tisch – und im besten Fall regen sie dann tatsächlich eine öffentliche Debatte an, die nicht nur in Dresden und Leipzig geführt, sondern auch in den ländlichen Raum und über Sachsen hinaus ausgetragen wird.

Schreiben Sie uns Ihre Standpunkte und Geschichte zur Frage eines „Jüdischen Museums“ als Kommentar.