Die Kakadu-Bar im Dresdner Parkhotel hat eine lange Geschichte. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie eröffnet. Schnell wurde der „Rote Kakadu“ zu einem beliebten Teil der Partyszene. Immer wieder wurden die Räumlichkeiten nach dem Geschmack der Besitzer:innen umgestaltet, jetzt haben künstlerische Spuren der 1970er Jahre ihren Weg ins Stadtmuseum Dresden gefunden.

Das Parkhotel am Weißen Hirsch, ca. 1914, Fotograf:in unbekannt, Stadtmuseum Dresden

Bei Live-Musik, Tanzveranstaltungen und moderaten Preisen – die Autorin hörte von 1,50 Mark für den Eintritt und einem kostenlosen Getränk für Damen – lud die Bar zum ausgelassenen Feiern ein. Für viele Jahre blieb der „Rote Kakadu“ ein echter Hotspot für Party-Liebhaber:innen.

Nach mehreren Veränderungen der Bar wurde der Künstler Peter Strang (www.webarchive.org) Ende der 1970er-Jahre beauftragt, Wandschmuck mit Motiven des „Dekameron“ für die Bar zu produzieren. Strang war zu diesem Zeitpunkt als Entwickler in der Porzellanabteilung der Meißener Porzellanmanufaktur tätig. Interessant also, dass er für den Schmuck der Kakadu-Bar kein Porzellan nutzte. Bis Anfang der 2000er-Jahre hingen die Keramiken von Peter Strang an ihrem Platz.

Das Dekameron – 100 Geschichten und die Pest

Giovanni Boccaccios (1313-1375) Buch “Il Decamerone” entstand vor etwa 650 Jahren in Italien. Es handelt sich um eine Sammlung von 100 Novellen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die einzelnen Geschichten basieren auf historischen Vorlagen wie antiken Erzählungen, die der Autor umgestaltete.

Boccaccios Erzähler sind zehn junge Leute, die sich in einer Villa vor Florenz während der Pest die Zeit vertreiben. Über zehn Tage erzählt jeder täglich eine Geschichte, bis am zehnten Tag 100 gesammelt sind. Aufgrund der teilweise erotischen und kirchenkritischen Inhalte war das Buch lange Zeit an verschiedenen Orten der Welt verboten. Um 1476 wurde das Werk zum ersten Mal aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt.

Aus dem Hotel ins Museum

Am Tag des Offenen Denkmals 2022 bemerkte ein aufmerksamer Dresdner, dass die Kakadu-Bar umgestaltet worden war. Die Keramiken, die er bei einem Besuch in den 1990er-Jahren fotografiert hatte, waren verschwunden. Das Gespräch mit einer Mitarbeiterin brachte eine erste Beruhigung: Die Keramiken waren bei Umbauarbeiten im Jahr 2002 abgehangen und von den damaligen Besitzern des Hotels in einem Kellerraum verstaut worden. Eine Auktion im Jahr 2012, bei der es einen ersten Versuch gab, die Wandobjekte zu verkaufen, war erfolglos ausgegangen – die Keramiken blieben erst mal im Keller liegen.

Die Keramiken von Peter Strang wurden im Katalog zur Auktion im Kunstauktionshaus Günther angeboten, 2012

Die neuen Besitzer, die das Hotel derzeit sanieren, konnten die großen und schweren Wandbilder nicht wieder an ihrem alten Standort in der Kakadu-Bar anbringen. Stattdessen wandten sie sich gemeinsam mit engagierten Bürger:innen an verschiedene Museen und Institutionen, um einen Abnehmer zu finden. Nachdem anfänglich niemand gefunden wurde, der die umfangreiche Sammlung übernehmen konnte, sollten die Werke an Interessierte verschenkt werden.

Das Stadtmuseum Dresden erfuhr erst spät von dem Wunsch der Hotelbesitzer, die Keramiken abzugeben. Glücklicherweise konnte aber eine Übergabe vereinbart werden, bevor einzelne Keramiken verschenkt wurden. Ein Artikel im Elbhangkurier vom Februar 20231 veröffentlichte zwar noch den Aufruf zur Besichtigung der Keramiken am 10. Februar, bei dem Interessierte die Keramiken mitnehmen könnten. In den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 07.02.20232 konnte aber aufgrund der kürzeren Druckfristen bereits von der Übernahme durch das Stadtmuseum Dresden berichtet werden.

Am 10. Februar fanden sich einige Dresdner:innen ein, die ihre Erinnerung an die Kakadu-Bar teilten. Leider waren keine Besucher:innen dabei, die sich an Strangs Keramiken in der Bar erinnern konnten. Nach der öffentlichen Besichtigung wurden die Keramiken noch am selben Tag in das Depot des Stadtmuseums transportiert.

Auf Spurensuche

Auch die Mitarbeiter:innen des Stadtmuseums hatten die Keramiken zuvor noch nicht zu Gesicht bekommen. Der tatsächliche Umfang des Materials, die Vielzahl der kleinen Nebendarstellungen vor allem, wurde erst bei der Besichtigung vor Ort deutlich. Auf Holzpaletten lagen die Wandbilder nebeneinander: Zehn große Reliefs mit Szenen aus dem Dekameron, daneben elf kleinere Keramikrahmen mit unterschiedlichen Tierdarstellungen. Auf einer letzten Palette lagen einzelne Äste und über die Jahre oder bei Demontage abgebrochene Teilstücke.

Nach der Ankunft im Depot des Stadtmuseums Dresden wurde mit der museumstypischen Recherchearbeit begonnen. Ziel ist es dabei, die Hintergründe der Werke zu erforschen: Was ist dargestellt? Wie war die Platzierung in der Bar? Wer hat die Keramiken wann in Auftrag gegeben? Warum wurde dieses Thema gewählt? Wie bekannt war es damals? Welche Arbeiten hat der Künstler noch ausgeführt? Gab es auch andere Entwürfe, gar einen künstlerischen Wettbewerb? Bisher fehlen uns auf viele Fragen immer noch die Antworten.

Die einzigen Fotos der Keramiken in der Bar, die wir bis heute kennen, hat der Ortsdenkmalpfleger Eberhard Münzner 2002 gemacht. Mit seiner Kamera konnte er die einzelnen Objekte festhalten. Die 10 großen und 11 kleineren Reliefs sowie zahlreiche einzelne pflanzliche Elemente schmückten bis März 2002 die kleinen Separees der Bar. Alle größeren Keramiken waren mit einem runden Spiegel in die Rückwand integriert. Nur ein einziger davon ist erhalten geblieben. Und die vielen Äste, Kastanien und Obstteile, die bei der Besichtigung auf einer Palette gelegen hatten, waren gar nicht abgebrochen, sondern als Einzelteile an der Wand angebracht gewesen.

Blick in die Kakadu-Bar im Jahr 2002. Foto: Eberhard Münzner
Auf den Rahmen der Keramiken sind die Signatur des Künstlers und eine Datierung erkennbar. Foto: Eberhard Münzner

Die Motive, die Peter Strang für seine Dekameron-Reliefs wählte, bilden liegende, tanzende oder badende Paare in verschiedenen, oft erotischen, Szenen ab. Begleitende Darstellungen von tierischen und vegetabilen Motiven behandeln die Themen Tod und Fruchtbarkeit.

In der Kakadu-Bar wurden Szenen aus dem Dekameron mit Tier- und Pflanzenmotiven kombiniert. Foto: Eberhard Münzner

Boccaccio in der DDR

Ganze 600 Jahre nach der Fertigstellung und 500 Jahre nach der ersten deutschen Übersetzung lässt sich eine vielschichtige Rezeption von Boccaccios Geschichten in der DDR feststellen. In den unterschiedlichsten Medien wurden sie wiederbelebt und erzählt.

Schon 1960 beteiligte sich der Berliner Künstler Werner Klemke (www.wernerklemke.de) an einer zweibändigen Ausgabe des Buches im Aufbau Verlag. Die Ausgabe ist mit einer Vielzahl von Holzschnitten des Künstlers illustriert. Auffällig ist die Ähnlichkeit zwischen Klemkes und Strangs dargestellten Figuren. Vielleicht dienten Werner Klemkes Illustrationen als Inspiration für Strangs Keramiken?

Das Dekameron des Giovanni Boccaccio, Zweiter Tag, zweite Geschichte, illustriert von Werner Klemke, Foto: Katharina Steins

Auch die 1970er-Jahre boten den italienischen Erzählungen fruchtbaren Boden. Damals fand das Thema Eingang in die populären Medien der Zeit. 1974 interpretierte Heinz Kahlow verschiedene Geschichten des italienischen Autors in Einzelfolgen unter dem Titel „ABC der Liebe“ (www.fernsehenderddr.de) als Fernseh-Musical neu. Bekannte Schauspieler:innen und Musiker:innen wie Eva-Maria Hagen, Wolf Kaiser oder Konrad Rupf übernahmen Rollen in der Produktion. Die Ausstrahlung der Folgen fand im Dezember des Jahres statt. 1986 wurde die beliebte Filmreihe als Musikschauspiel „Dekameronical“ in der Dresdner Staatsoperette aufgeführt.

Während das „ABC der Liebe“ im Fernsehen lief und Peter Strang seine Keramiken für die Kakadu-Bar anfertigte, beschäftigte sich in den 1970er-Jahren ein weiterer Dresdner Künstler mit der Thematik. Siegfried Schade, Mitglied der Produktionsgenossenschaft Kunst am Bau (www.kunst-am-bau-ddr.de), produzierte kleinere Keramiken, die Boccaccios Erzählung in verschiedenen Szenen nach Dresden verorten. Seit Kurzem befindet sich eine dieser Keramiken im Stadtmuseum. Eine Dresdnerin hat sie im Nachgang der Berichterstattung zum Parkhotel dem Museum geschenkt. Das Motiv ähnelt Strangs Gestaltung: Ein Liebespaar liegt in einem Keramikrahmen, im Hintergrund kann man die Dresdner Hofkirche erkennen. Auf dem unteren Bildrahmen wurde der Schriftzug „Decameron XVII“ eingeritzt.

Siegfried Schade: Decameron XVII, Stadtmuseum Dresden; Foto: Philipp WL Günther

Weitere Recherchen zeigten, dass die kleinformatigen Steingutobjekte in großer Stückzahl produziert wurden. Noch heute werden immer wieder einzelne Motive im Internet zum Kauf angeboten.

Google Suche „Decamerone Siegfried Schade“, vom 23.06.2023

Über Antje Kirsch, die zur Produktionsgenossenschaft Kunst am Bau forscht, wurde die Autorin auf ein großes Wandbild im Besitz einer städtischen Institution – der SachsenEnergie AG – aufmerksam. Es ist aus einer Vielzahl von kleinen Keramiken Siegfried Schades zusammengesetzt. In dieser Wandgestaltung, die sich im Heizkraftwerk Dresden Reick befindet, sind die kleinen Keramiken wie Apartments eines Wohnturms aufeinandergesetzt. Verbunden sind die „Häuser“ durch die elektrischen Netzanlagen der Stadt. Bei den einzelnen Bestandteilen der Wandgestaltung fehlt die „Decameron“ Beschriftung, die Motive stimmen jedoch überein.

Siegfried Schade, Das Keramikwandbild im Heizkraftwerk Dresden-Reick: Poesie des Alltags. Foto: Hartmut Hinz, Benutzung mit freundlicher Genehmigung der SachsenEnergie AG

Siegfried Schades Wandbild wurde 2016/2017 umfangreich restauriert und erstrahlt seitdem in neuem Glanz. Im starken Kontrast dazu steht die jahrelange Einlagerung von Peter Strangs Keramiken. Wieso das eine Kunstwerk geschätzt wird, während das andere im Keller verschwunden war, bleibt rätselhaft.

Im Berliner Hörbuchverlag wurden 1970 einzelne Erzählungen aus der Sammlung unter dem Titel „Vier ergötzliche Geschichten aus dem „Dekamerone“ des Messer Giovanni Boccaccio“ vertont.3

Nach der Wende scheint die Begeisterung für Boccaccios Werk abgebrochen zu sein. Auch wenn die Geschichten weiterhin als Hörbücher aufgenommen werden, kennen sie viele gar nicht mehr.


Wie geht es weiter?

So viel wir schon über Peter Strangs „Dekameron“ aus der Kakadu-Bar wissen, viele Lücken sind bei der Recherche geblieben. Im Dezember 2022 verstarb Peter Strang, ein direkter Austausch mit dem Künstler ist somit unmöglich geworden. Über die Meißner Porzellansammlung konnte Kontakt mit den Erben aufgenommen werden. Wir hoffen, über den direkten Austausch weitere Informationen sammeln zu können.

Aber vielleicht waren Sie auch in der Kakadu-Bar und haben die Keramik-Reliefs von Peter Strang vor Ort gesehen? Haben Sie vielleicht sogar Fotos davon, wie sie in der Bar aussahen? Wir würden uns sehr über Ihre Unterstützung bei der weiteren Bearbeitung des Bilderzyklus freuen!

Ab Januar 2024 können Sie schon mal einzelne ausgewählte Bestandteile der Keramiken aus der Kakadu-Bar in der Neuerwerbungsvitrine des Stadtmuseums sehen. Und vielleicht klappt es ja auch bald noch mit einer Einbindung der Objekte in eine größere Präsentation. Bis dahin hoffen wir, weitere Erkenntnisse zu der Entstehung der Keramiken sammeln zu können.


  1. Dr. Michael Böttger: Kakadu-Bar-Keramiken suchen neue Besitzer, Elbhang Kurier, Februar 2023. ↩︎
  2. Bernd Hempelmann: Die Keramiken aus der Kakadu-Bar, Dresdner Neuesten Nachrichten, 07.02.2023. ↩︎
  3. Das entstandene Hörspiel kann man sich auf YouTube anhören: www.youtube.com. ↩︎