Quasi direkt neben dem Stadtmuseum steht am Pirnaischen Platz ein Hochhaus, das schon zu vielen Diskussionen Anlass gegeben hat. Es wurde als „Schandfleck“ betitelt und war tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten (ja: JahrZEHNTEN!) in einem beklagenswerten baulichen Zustand. Häufige Besitzerwechsel führten zu vielen Plänen, aber wenig Handlung.
Nun wird die lange aufgeschobene Sanierung bald komplett abgeschlossen sein. Aus diesem Anlass schauen wir in unsere Sammlung: Was ist dort zu diesem stadtbildprägenden Gebäude zu finden? Und warum trägt es auch den Namen „P 27“? Und schließlich: Warum gibt es das Gebäude auch zum Basteln?
Ein Hochbau wird Flachware
Gehen wir erst einmal kurz zur Entstehung des Baus zurück, ohne dass es hier um eine exakte Rekonstruktion des Bauverlaufs gehen soll.1 Vor einigen Jahren konnte das Stadtmuseum aus dem Online-Handel ein Fotoalbum erwerben, das die Entwürfe und die Realisierung des Gebäudes dokumentiert. Das Album stammt aus dem Nachlass des Architekten Herbert Löschau (1932 – 2005). Löschau arbeitete in den 1960er Jahren zusammen mit Hans Kriesche und Gerhard Landgraf in einem Kollektiv an verschiedenen, wie beim Kulturpalast, durchaus prominenten Bauten im Dresdner Stadtzentrum. Das Fotoalbum widmet sich – wie auf dem Deckblatt direkt in schönster Schablonenmalerei vermerkt ist – dem Objekt „P 27“.
Was hat es mit dieser Abkürzung auf sich? Wir haben bei Fachleuten nachgefragt und diese Antwort erhalten:
„Jedem Standort wurde eine Projektbezeichnung zugewiesen. P27 war die Projektbezeichnung des individuellen Projektes Mittelganghaus mit Funktionsunterlagerung am Pirnaischen Platz. Damals gab es noch keine sogenannten Typenprojekte (wie IW 67 oder WBS 70…). Insofern wurde jedem Standort eine Projektbezeichnung zugewiesen.“
Es handelt sich also um einen Wohnbau, in dem ein mittlerer Gang (Flur) die Wohnungen erschließt. Hinzu kommt im Erdgeschoß eine weitere Funktion, in diesem Falle waren es mehrere Gaststätten. In der Bauwirtschaft der DDR setzte man in den 1960er Jahren bereits verstärkt auf den industriellen Wohnungsbau, für den immer wieder Serien neu- und weiterentwickelt wurden. Man griff hier auf diese Grundlagen zurück, indem man das Plattenbausortiment 5 Mp (Megapond)2 nutzte, aber individuell anpasste. Aus diesem Grunde gibt es auch große Parallelen zur langen Wohnzeile an der Prager Straße, da beides Mittelganghäuser auf Grundlage dieses Plattenbausortiments 5 Mp sind. Aber eigentlich sind es eben auch individuelle Planungen.
Wer sich die beim „P 27“ verwendeten Platten genauer anschauen will, kann sich bei uns diesen Plan vom VEB Hochbauprojektierung vorlegen lassen.
Aber nochmal zurück zu den Fotos und etwas leichter verständlichen Dingen. Das Fotoalbum beinhaltet noch Reproduktionen verschiedener Architekturzeichnungen, darunter auch Innenraumzeichnungen von Heinz Zimmermann. Dieser Innenarchitekt war auch beim Bau des Kulturpalastes dabei.
Ganz chronologisch geht es weiter mit Fotos des Bauprozesses und schließlich des fertigen Gebäudes. Auch die Urkunde zum 1. Preis im Architekturwettbewerb 1968 liegt bei. Durch eine Materialprobe wird – im Gegensatz zu den häufig farbveränderten Fotografien der damaligen Zeit – auch im Nachhinein noch gut die angestrebte Farbgebung deutlich.
Es finden sich zudem eher selten dokumentierte Detailansichten, die als historische Zeugnisse durchaus relevant sind. Oder erinnern Sie sich bei diesem Gebäude an die buckligen Formsteinelemente? Die aktuell noch hinter Schutzplatten versteckten wunderbaren plastischen Elemente haben die Zeit zum Glück ganz gut überdauert und können dann nach ihrer Enthüllung wiederentdeckt werden. Damit es dem Fotoalbum auch so geht, lagert es bei optimaler Temperatur und Luftfeuchte als „Flachware“ sicher in unserer Fotokühlzelle.
Ideologie und Illusionen: Fotografien von Arno Helzel
Der Kupferklempner Arno Helzel (1906 – 1982) kam beruflich häufiger mit dem baulichen Geschehen der Stadt in Berührung, denn er fertigte zum einen Grundsteinlegungskassetten (in denen dann Zeitungen, Dokumente, Münzen u. ä. verstaut wurden) und war zum anderen für Dacheindeckungen und die Montage von Dachreitern zuständig. Das Stadtmuseum besitzt seinen Nachlass und profitiert in diesem Fall von seiner Neugier auf die Bauentwicklung und seiner Freude am Fotografieren. Häufig sind auf seinen Bildern interessante Details zu entdecken. In diesem Falle – viele werden sich erinnern – ist es die Dokumentation der Einbindung in „staatspolitische Aufgaben“. Schon Helzels Baustellenfotos zeigen eine entsprechende Beflaggung und Spruchbänder.
Auf dem zweiten Foto ist noch gut das Baustellenschild von „Block P 27 Pirnaischer Platz“ zu erkennen. SMD/Ph/2020/00318.
Ab dem 1. Mai 1968 verkündete dann ein legendär gewordener Schriftzug weithin sichtbar: „Der Sozialismus siegt“. Er wurde von nun an oft – und politisch sicher gewünscht – Beifang von Stadtansichten. Eher zufällig konnte es aber auch zu einer Kommentierung der Parole kommen, die so wohl eher nicht gewollt war…
Schon kurz darauf wurde die Parole (temporär) wieder verhüllt zugunsten einer Glückwünschnote der Stadt Dresden an den damaligen Generalsekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht. Im Stadtmuseum war zu diesem Anlaß von Juni bis August 1968 auch eine Sonderausstellung mit dem Titel „Walter Ulbricht – 75 Jahre“ zu sehen – das damalige Institut und Museum für Geschichte der Stadt Dresden hatte schließlich auch einen (politischen) Auftrag zu erfüllen!
Aber auch für allgemeinere, weniger einzelnen Anlässen gewidmete sozialistische Parolen wurde der Bau als Präsentationsfläche genutzt.
Auch die Seitenwand des Hochhauses wurde für eine Botschaft genutzt: Dort warb hin zur vielbefahrenen Leningrader Straße (heute St. Petersburger Straße) eine besonders großformatige Leuchtreklame mit dynamischem Schalteffekt für die VEM Elektromaschinen als “Kraft für die Wirtschaft“. Am Flachtrakt informierten verschiedene Leuchtschriften über die dort beheimatete Gastronomie.
Ein Gebäude kommt in die Jahre
Gut 20 Jahre diente das Hochhaus politischen Willensbekundungen, 1989 montierten Kletterer im offiziellen Auftrag, aber ohne Kommentar, den Schriftzug ab. Es folgten neue informellere Botschaften: „Der Kapitalismus siecht“ und „Naddel & Ronny“.
Wie die Leuchtkörper, kam im Laufe der Zeit auch die (vermutlich nie bei allen vorhandene) Wertschätzung abhanden. Nach Abrissforderungen und vielen Umnutzungsplanungen wird es nun – nach Zwischenplanungen für eine Burgerkette, eine Tages- und Nachtbar, ein Fitnesscenter und bis zur Sanierung einer Nutzung durch Imbiss und Discounter – wieder ein Wohnhochhaus mit Supermarkt. Frisch saniert können sich die bisherigen Kritiker:innen vielleicht doch noch mit dem Bau versöhnen. Zumal sich das Gebäude auch schon im Ausland einer gewissen Beliebtheit erfreut: Im Zuge der Ostmoderne-Begeisterung ging es bereits in die polnische Buch- und Videopublikation „Modern East“ ein und vertritt hier neben Beispielen aus Berlin, Cottbus, Dessau, Halle-Neustadt, Leipzig und Rostock die Stadt Dresden. Und so kann es also nun auch nachgebastelt werden. Zum Glück passt das „Hochhaus“ mit seinen dann gut 10 Zentimetern aber noch immer gut in unsere Depotschubladen!
- Dazu kann z. B. hier nachgelesen werden: http://www.das-neue-dresden.de/appartementhochhaus-pirnaischer-platz-1966.html ↩︎
- Die Megapond geben die Laststufe, also das Gewicht der Platten an. Wen es genauer interessiert, der kann z. B. hier weiterrecherchieren: https://bauarchivddr.bbr-server.de/bauarchivddr/. ↩︎