Im Bestand des Stadtmuseums befinden sich neben zahlreichen anderen Sammelalben auch 8 Alben mit geschätzt 5.200 Reklame- und Werbemarken. Hinzu kommen zahlreiche einzelne Marken, die es zu bearbeiten gilt. Neben der korrekten Inventarisierung und Aufbewahrung beinhaltet dies die inhaltliche Erschließung, welche zum Beispiel nach den Personen, Firmen und Produkten hinter den Marken fragt. Das ist teilweise mit Herausforderungen verbunden, denn ein Plakat, ein Brief oder eine Postkarte haben fast immer, im Gegensatz zu Reklamemarken, eindeutig zugeordnete Urheber:innen, welche ein Objekt entworfen, geschrieben oder gedruckt haben. Bei Druckereien oder Verlagen können meist schon keine Einzelpersonen mehr identifiziert, aber immerhin die Institution zugeordnet werden. So gibt es beispielsweise bei Plakaten mit wenigen Ausnahmen vorwiegend keine spezifische Person, sondern die Körperschaft für den Druck zu verzeichnen. Bei den Reklame- und Werbemarken fehlen zumeist die Angaben zu Grafiker:in oder Druckerei durch eine Signatur oder einen Aufdruck. Die Herausforderung an die oder den Museolog:in erhöht sich sogar noch weiter, da die Reklamemarken häufig nur einzelne Produkte von Firmen zeigen und so nicht einmal Herausgeber:innen bzw. Auftraggeber:innen auf den ersten Blick ablesbar sind. Das Erschließen dieser Objekte weist daher einen hohen Rechercheaufwand auf und die Aufarbeitung ganzer Alben ist sehr zeitintensiv, worauf im Textverlauf weiter eingegangen werden wird.

Ein kurzer Einblick in die Geschichte der Reklamemarke

Mit der Standardisierung der Korrespondenz ab 1850, der Einführung von Briefmarken und der Ablösung von Brief-Verschlusssiegeln durch zum Aufkleben gummierte Verschlussmarken begann um 1900 die Blütezeit der Reklamemarken und endete zum Beginn des 1. Weltkriegs. Erste Verschlussmarken wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet und kündigten vor allem Veranstaltungen wie Ausstellungen oder Messen an. Im Laufe der Zeit entwickelten sie sich allerdings schnell zu vielfältigen Werbeflächen, welche im Zuge der Industrialisierung und steigender Konkurrenz zwischen den Unternehmen eine zunehmende Bedeutung erhielten. So nutzte die Cotillonfabrik Carl Wenzel beispielsweise bereits um 1880 ihre Siegelmarken, um neben den Kartonagen auch auf ihre Christbaumverzierungen aufmerksam zu machen.


Siegelmarke der Cotillonfabrik Carl Wenzel, SMD_SD_2016_00035

In engem Zusammenhang mit der gesteigerten Werbetätigkeit der Firmen stand ebenfalls die Einführung von Markenzeichen und Schutzmarken, welche neben dem Schutz vor Konkurrenten vor allem der Wiedererkennung und Kundenbindung dienten.

Die Marken wurden bald nicht mehr nur zum Verschließen von Briefen genutzt, sondern auch den Produkten selbst beim Verkauf beigegeben. Dieses Instrument zur Verkaufsförderung erzwang schließlich durch die Einführung kompletter Sammelserien gänzlich die Markentreue der Kund:innen.

Aber auch die Vielfalt und Schönheit der Marken führte schnell zu einem regelrechten Sammelboom und schließlich auch zur Unterteilung der Marken nach Untergruppen. Beispielhaft sind hier die Anlass- und Veranstaltungsmarken, die Siegelmarken und die Wohltätigkeitsmarken zu nennen. Gesammelt wurde in den verschiedensten Varianten. So gibt es Sammlungen u.a. in Alben, in Heften, in Notizbüchern oder einfach lose in kleinen Kisten.

Die grafische Gestaltung der Kleingrafiken

Künstlerisch sind die Marken einerseits eng verbunden mit den Plakaten, was sich beispielsweise durch eine parallele Nutzung von Plakatmotiven auch für Werbemarken zeigt. Allerdings ist diese Form der Mehrfachverwendung der Entwürfe nur vereinzelt zu beobachten, was auf die unterschiedlichen Anforderungen an Groß- und Kleingrafiken zurückzuführen ist. Diese Kunstgenres sollten daher trotz ihrer Überschneidungen getrennt betrachtet werden.

Ganz allgemein kann festgestellt werden, dass verschiedenste Künstler:innen und Gebrauchsgrafiker:innen Reklamemarken gestalteten, darunter auch einige sehr bekannte Grafiker wie Lucian Bernhard (1883-1972), Ludwig Hohlwein (1874-1949) oder Louis Oppenheim (1879-1936). Einige Firmen hatten einen regelrechten Pool an Grafiker:innen, welche sowohl Plakate als auch Werbemarken entwarfen. So waren für den Klebstoffhersteller Otto Ring & Co. aus Berlin u. a. Clara Möller-Coburg (1869-1918), Fritz Hellmuth Ehmcke (1878-1965), August Hajduk (1880- nach 1918), Thomas Theodor Heine (1867-1948) und Friedrich Wilhelm Kleukens (1878-1956) tätig. Da sie Signaturen auf den Marken angaben, ist eine Zuordnung eindeutig möglich. Allerdings blieb ein Großteil der Marken unsigniert und gibt deshalb keinen Aufschluss über den oder die Gestalter:in.


3 Reklamemarken der Firma Otto Ring & Co., SMD_SD_2017_00635.102_664, SMD_SD_2017_00635.436_664 und SMD_SD_2017_00635.438_664

Wie ist nun die Vorgehensweise bei der Erschließung eines Sammelalbums?

Sammelalben gelangen als Schenkung, Übernahme oder Ankauf in das Stadtmuseum Dresden. Die umfangreichste Sammlung von Reklamemarken wurde 2006 mit der Schenkung von 3 Alben übernommen und 2010 durch ein 4. Album ergänzt. Diese Sammlung konzentriert sich auf Dresdner Unternehmen und allein dadurch stellt sie einen reichhaltigen Fundus für die Wirtschaftsgeschichte der Stadt dar. Interessant ist aber auch ihre Entstehungsgeschichte, die mit dem Schicksal des 2015 verstorbenen Peter C. Rickenback verbunden ist. Rickenback wurde 1920 als Claus Peter Reichenbach in Dresden geboren und emigrierte aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1936 von Deutschland über mehrere Stationen nach England. Die Eltern blieben in Dresden und wurden schließlich über verschiedene Stationen 1943 nach Auschwitz deportiert und dort getötet. Peter Reichenbach nahm in London den Namen Peter C. Rickenback an, gründete dort eine Briefmarkenfirma und begann seine Sammlung aufzubauen. 2015 wurden Stolpersteine für die gesamte Familie in der Andreas-Schubert-Str. in Dresden verlegt.

Die Sammelalben Rickenbacks sind, wie es sich für einen professionellen Sammler geziemt, mit Steckblättern versehen, sodass einzelne Marken leicht herausnehmbar sind.

Abbildung einer Seite des Sammelalbums 3 aus der Sammlung Peter C. Rickenback, SMD_SD_2006_00224

Anders verhält es sich mit anderen Alben, welche die Werbemarken in aufgeklebter Variante enthalten. Hier könnten Marken nicht so einfach extrahiert werden.

Abbildung einer Seite eines Sammelalbums, SMD_SD_2017_00635

Im Interesse der Erhaltung der Authentizität der Objekte, werden die Konvolute generell zusammengelassen und die Marken nicht einzeln herausgelöst. Die erste Frage stellt sich daher nach der Möglichkeit, das Album als Gesamtobjekt darzustellen und gleichzeitig einzelne Marken für Mitarbeiter:innen und externe Forscher:innen ansprechbar und nutzbar zu machen. Durch die Vergabe einer übergeordneten Inventarnummer für das komplette Album und Unternummern für jede einzelne Marke kann dies gewährleistet werden. Die eineindeutige Vergabe von Inventarnummern ist daher das A und O der museologischen Betreuung. So erhält wirklich jede Marke, auch wenn 30 Marken das gleiche Motiv aufweisen, eine eigene Unternummer.

Zu Beginn wird demnach das Album einmal durchgezählt. Im Falle des zuletzt erwähnten Albums sind es 663 einzelne Marken und ein Buch. Hierbei wird möglichst vom Deckblatt bis zur letzten Seite jeweils in Leserichtung gezählt. Die Seitenzahl und die Markennummer auf der jeweiligen Seite werden ebenfalls dokumentiert. So hat die Werbemarke des Residenzkaufhauses die Inventarnummer SMD_SD_2017_00635.036_664 und befindet sich auf der Albumseite 4 an 5. Stelle. Für diese Marke kann nun ein einzelner Datensatz in der Museumsdatenbank angelegt werden. Von großer wissenschaftlicher Bedeutung ist bei der Erschließung der einzelnen Marken an dieser Stelle auch die Eruierung der beteiligten Personen und Institutionen. Herausgeber ist die Residenz-Kaufhaus GmbH (ReKa), gegründet 1912. Die Datierung der Marke kann daher nicht vor 1912 sein. Eine Druckerei ist nicht verzeichnet, allerdings ist ein:e Grafiker:in angegeben. Leider ist die Signatur „Müller“ in der zu sehenden grafischen Darstellung zum jetzigen Forschungszeitpunkt unbekannt, sodass lediglich eine unbekannte Person „Müller“ als Grafiker:in benannt werden kann. Neben Personen, Firmen und Datierung wird die Marke noch in die Systematik des Museums eingebunden und verschlagwortet.

Reklamemarke des Residenzkaufhauses, SMD_SD_2017_00635.036_664

Auf diese Weise kann nun Schritt für Schritt jede Marke in die Datenbank eingepflegt werden. Dabei werden Fachliteratur, Spezialdatenbanken (meist von Sammlern), Datenbanken anderer Museen, Adressbücher oder das Internet im Allgemeinen für die nähere Bestimmung zu Rate gezogen. So sind beispielsweise zwei andere Reklamemarken lediglich mit „Fön“ und Anwendungsgebiet bezeichnet und bebildert. Erstere lässt sich immerhin noch relativ leicht dem unbekannten Grafiker „Borchardt“ zuschreiben.

Über die Publikation zur Sammlung von Prof. Dr. Günter Schweiger kann die Marke Fön dann der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) als Herausgeber zugeordnet werden. Durch die Nummerierung beider Marken wird ersichtlich, dass es sich um Serien handelt, was ebenfalls in der Datenbank festgehalten wird.[1]

Die Online-Datenbank des Jüdischen Museums Berlin hilft schließlich noch bei der Eruierung des Grafikers der zweiten Marke. Es handelt sich um den Werbegrafiker Joel Loewenstein (*1883).


2 Reklamemarken für den Fön der AEG, SMD_SD_2017_00635.451_664 und SMD_SD_2017_00635.444_664

In dieser Form wird Marke um Marke in die Datenbank eingepflegt. Dabei können manche Signaturen oder Kürzel vorerst nicht aufgelöst werden und bedürfen weiterer Recherche und Unterstützung. Einige der Marken sind bereits in unserer Online-Datenbank zu sehen und all diejenigen, welche eine Auswahl an Reklamemarken aus der Sammlung Peter C. Rickenback gern im Original betrachten möchten, sei unsere Dauerausstellung ans Herz gelegt.

[1] Update vom 19.4.2021: Weiteren Recherchen zufolge hat die Electricitätsgesellschaft „Sanitas“ <Berlin> ebenfalls eine Heißluftdusche unter der Marke Fön hergestellt und vermutlich ist sie der Herausgeber der beschriebenen Reklamemarken. Unterlagen der Sanitas wurden 1986 an das Landesarchiv Berlin übergeben und sind dort unter der Bestandsignatur A Rep. 250-03-15 zu finden.

Verwendete Literatur und Verweise: