Gastbeitrag von Daniel Ristau
Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.
Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte
Zur Person:
Die gebürtige Mailänderin Valentina Marcenaro stammt aus einer sephardischen Familie. Seit mehr als 20 Jahren lebt sie in Dresden. Als Literaturwissenschaftlerin hat sie sich im Studium intensiv mit der amerikanisch-jüdischen Literatur beschäftigt und als Kulturmanagerin zahlreiche Projekte mit jüdischen Themen initiiert und geleitet. Für vier Jahre war sie die Festivalleiterin der Jüdischen Musik- und Theaterwoche Dresden. Als sie 2017 ins Kulturhauptstadtbüro Dresden 2025 wechselte, übernahm sie den Vorsitz des Trägervereins des Festivals. Sie hat mit ‚Gefilte Fest Dresden‘ und ‚Der besondere Schabbat‘ zwei partizipative Formate ins Leben gerufen, die einen leichten Zugang zur jüdischen Kultur und Tradition ermöglichen. Seit Dezember 2020 leitet sie die JugendKunstschule Dresden.
(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?
Seit Jahren wird in Dresden über die Gründung eines jüdischen Museums diskutiert. Am Anfang handelte es sich um eine Initiative, die aus der jüdischen Community kam und die nicht viel Resonanz in der Dresdner und sächsischen Kulturpolitik fand. Auch ich war bei den ersten Treffen 2014 dabei und habe mich relativ schnell davon distanziert, weil ein Museum für mich nicht das „richtige“ Format für die Darstellung beziehungsweise inhaltliche Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur und Tradition ist. Ein „jüdisches Museum“ ist letztlich ein Ort, der nur von einigen bereits interessierten Menschen gezielt besucht wird. Dadurch ist es abgeschottet und getrennt von der „Mehrheitsgesellschaft“.
Ich bevorzuge die Idee, das Jüdische im Alltag in den Mittelpunkt zu stellen – als einen selbstverständlichen Bestandteil der sächsischen und Dresdner Geschichte und Gegenwart. An der Idee eines „jüdischen Museums“ begrüße ich, dass sie eine Debatte eingeleitet hat: Viele Menschen in Dresden und Sachsen beschäftigen sich inzwischen mit dem Thema. Gleichzeitig halte ich eine gesunde Skepsis aufrecht. Aus den Erfahrungen zuerst als Leiterin und dann als Vorstandvorsitzende der Jüdischen Musik- und Theaterwoche Dresden frage ich mich, inwieweit eine solche Initiative ernst gemeint ist. Viele Einrichtungen, die sich mit jüdischen Themen seit Jahrzehnten beschäftigen, überleben dank dem großen Engagement ihrer freiberuflichen Mitarbeiter*innen, die mit viel Aufopferung und Selbstausbeutung wertvolle Arbeit leisten. In Dresden und in Sachsen existieren bereits viele engagierte Vereine, die eine große Expertise in unterschiedlichen Bereichen haben und seit Jahren immer wieder um ihr Überleben kämpfen müssen, vor allem finanziell. Mein Wunsch wäre, dass man auf diese Vielfalt an Institutionen und Projekten aufbaut, anstatt etwas komplett Neues zu etablieren.
(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?
Ich würde die Schaffung eines lebendigen jüdischen Kulturzentrums in Sachsen begrüßen, das einerseits eine koordinierende und vernetzende Funktion für alle sächsischen Initiativen zum Thema hat und anderseits als offenes Begegnungszentrum agiert, in dem auch ein museales Teil seinen Platz finden kann. Dieser Ort sollte sich unabhängig von den religiösen Gemeinden entwickeln und damit allen Akteur*innen eine gleichberechtige Mitbestimmung ermöglichen. Und er sollte maßgeblich von Jüdinnen und Juden mitgestaltet werden, damit sie ihre Erzählung selbstbestimmen können.
(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?
Ein jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum sollte dazu beitragen, Hemmungen und Berührungsängste abzubauen und positive Erfahrungen in Zusammenhang mit jüdischer Kultur und Tradition in Geschichte und Gegenwart zu ermöglichen. Es herrscht in der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft viel Unwissen über das Judentum insgesamt, das oft nur auf die Shoah reduziert wird. Dadurch geraten Reichtum und Vielfalt jüdischer Kultur in Vergessenheit.
Es sollten Formate entwickelt werden, in denen Menschen einen emotionalen Zugang zu jüdischen Themen bekommen. Dazu sollen die jahrhundertelangen Erfahrungen von Jüdinnen und Juden als Minderheit für und mit anderen Minderheiten in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft thematisiert werden.
(4) Wer soll erreicht werden?
Ein Kultur- und Begegnungszentrum sollte alle erreichen, die mehr über das Judentum erfahren möchten und offen für einen kulturellen Austausch sind. Es sollte gleichzeitig aber auch ein Ort für Jüdinnen und Juden sein, an dem diese außerhalb eines religiösen Kontextes sich zu jüdischen Themen austauschen können.
(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?
Wenn ich an ein Objekt denke, kann ich aus persönlicher Erfahrung nur einen Gegenstand vorschlagen, der für mich symbolisch die Vielfalt des Jüdischseins darstellt: „Das Buch der jüdischen Küche. Eine Odyssee von Samarkand nach New York“ (2012) von Claudia Roden. Das Buch beziehungsweise das Wort stellen den Kern des (religiösen) Judentums dar und als solche haben Bücher eine zentrale Rolle in der jüdischen Geschichte und Kultur. Dieses besondere Kochbuch symbolisiert für mich die Tatsache, dass Jüdinnen und Juden schon immer Teil der Gesellschaft waren, in der sie sich befanden. Claudia Roden schrieb kein einfaches Rezeptbuch. Vielmehr beschreibt sie anhand der Kochrezepte welchen Reichtum das Judentum birgt und wie seine Kultur nie „nur“ jüdisch, sondern ständig im Diskurs und Austausch mit anderen kulturellen Kreisen war und ist.
(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?
Wie andere vor mir schon vorgeschlagen haben, wäre es wichtig alle maßgeblichen Akteur*innen in Sachsen an einen Tisch zu bringen, um zu erfahren, wie und ob sie dieses Vorhaben gemeinsam tragen möchten. Dazu ist es auch notwendig, ihre Bedürfnisse ganz konkret abzufragen und ihnen dann auch alle Mittel – und damit meine ich nicht nur finanzielle Unterstützung – zur Verfügung zu stellen, die sie für die gemeinsame Arbeit an diesem komplexen Thema für notwendig halten.
[…] [2] Vgl. das Interview mit Valentina Marcenaro im Blog des Stadtmuseums Dresden, URL: http://www.blog-stadtmuseum-dresden.de/valentinamarcenaro/ […]